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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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Concha gebeten, Dr. Gambús zu rufen.
    »Aber Dr. Gambús lebt doch nicht mehr, Señora. Können Sie sich nicht mehr daran erinnern? Er ist schon vor sechs Jahren von uns gegangen.«
    »Wirklich?« Doña Maria del Roser kräuselte die Stirn, ehe sie ungewöhnlich heftig reagierte. »Einfach so, ohne Vorwarnung? Meine Güte, ist der Mann treulos. Dabei haben wir ihn hier so geschätzt! Wir haben ihn auch immer pünktlich bezahlt. Wissen Sie, wohin er gegangen ist?«
    Concha stammelte reichlich hilflos. »Hm … in … in … den Himmel … nehme ich an.«
    »Ach, es gibt einfach keine Ärzte mehr wie früher«, flüsterte die Señora konsterniert.
    Das Beste an Doña Maria del Rosers neuen Zuständen war zunächst, dass sie nicht lang anhielten. Mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der ihr die aberwitzigsten Dinge einfielen, vergaß sie sie wieder.
    »Worüber haben wir gerade gesprochen?«, fragte sie oft.
    Doch als sich ihre Verfassung verschlechterte, hatte sie Tage, an denen sie sich weder an den Namen ihres Sohnes noch an seine Stellung in der Familie erinnern konnte, oder sie verwechselte Teresa mit irgendeiner Hausangestellten.
    »Bitte, Mädchen, räum endlich das Tablett ab. Du siehst doch, dass es nicht mehr gebraucht wird. Was stehst du denn noch steif herum und schaust so dumm aus der Wäsche? Diese jungen und hübschen Hausmädchen sind doch nur auf einen Mann aus gutem Hause aus, oder?«, murmelte sie dann in sich hinein.
    Concha ermahnte sie in solchen Fällen: »Señora, um Gottes Willen, das ist Doña Teresa, Ihre Schwiegertochter. Sagen Sie doch nicht so etwas zu ihr.«
    Dann betrachtete Maria del Roser Teresa wie aus einer anderen Welt und sprach das aus, was niemand hören wollte: »Wirklich, die Mädchen meines Sohnes werden immer jünger. Aber man muss schon sagen, dieses Exemplar ist sehr edel ausgefallen …«
    Anfangs schrieb sie auch noch ihre Artikel und veranstaltete im Haus ihre Mittwochstreffen. Doch innerhalb weniger Monate erloschen ihre geistigen Fähigkeiten wie der Docht einer Kerze. Die Dame, die einmal geglänzt hatte und ihrer Zeit voraus gewesen war, verhielt sich nun wie ein verschmitztes, schusseliges Kind auf dem Weg zum absoluten Vergessen.
    Da nannten die Ärzte ihre Krankheit beim Namen: Demenz. Man verordnete ihr Schlaf und Ruhe. Teresa kümmerte sich persönlich darum, dass es ihrer Schwiegermutter an nichts mangelte. Zuallererst befreite sie Concha von allen häuslichen Pflichten und ernannte sie zur Vollzeitbetreuerin. Außerdem nahm sie sich selbst täglich eine Weile Zeit, um ihre Schwiegermutter zu besuchen, und dafür fand sie immer einen überzeugenden Vorwand, etwa ihr einen Stoff zu zeigen oder sie wegen einer Nichtigkeit um Rat bitten zu müssen. Sie behandelte sie mit der gleichen Liebe, mit der sie ihre eigene Mutter umsorgt hätte – wenn es das Schicksal gewollt hätte. Teresa hatte immer das Gefühl, dabei im Grunde genommen nur die Zuneigung zu erwidern, die sie selbst erlebt hatte: Maria del Roser hatte sie schließlich von Anfang an wie eine eigene Tochter aufgenommen.
    »Ich werde nicht eher losfahren, bis du den Tee getrunken hast«, herrschte die Matriarchin plötzlich ihre Schwiegertochter mit dem Tonfall einer strengen Gouvernante an.
    Dann strich sie mit der Handfläche zärtlich über Teresas Wange. »Ich will nicht, dass dir etwas geschieht, Violeta«, flüsterte sie. »Diesmal werde ich gut auf dich aufpassen.«
    Concha berichtigte sie. »Señora, das ist nicht Violeta. Das ist Doña Teresa. Teresa! Ihre Schwiegertochter.«
    »Aber ja doch! Ich bin so töricht! Ich weiß sehr wohl, wer du bist, Teresa. Und ich bin sehr glücklich darüber, dass du meine Schwiegertochter bist. Ich habe immer befürchtet, dass mein Sohn eines von diesen Freudenmädchen heiratet, die ihm so gut gefallen. Mit dir haben wir wirklich Glück gehabt.«
    Teresa lächelte und streichelte liebevoll Maria del Rosers altersfleckige Hände. Sie verspürte eine unendliche Sehnsucht nach ihren inspirierenden Gesprächen noch vor wenigen Jahren.
    »Worüber haben wir gerade gesprochen?«, schnaubte die Matriarchin. »Ach, so. Vom Tee. Jetzt trink ihn schon.«
    Teresa leerte die Tasse und verspürte sofort eine leichte Übelkeit. Sie stand hastig auf und rannte zum Badezimmer.
    Maria del Roser nahm ihre Stola und zog ihre Schuhe mit dem halben Absatz an. Noch im Badezimmer konnte Teresa trotz ihrer Unpässlichkeit Maria del Rosers Worte hören.
    »Liebes, geht es dir

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