Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
nachgeben«, erklärte Señora Teresa verständnisvoll der Köchin, als diese sich für den Sonntag einige Stunden freinehmen wollte.
Aber die Gelassenheit, mit der einige Hausangestellte ihre Rechte einforderten, brachte andere – wie Higinio – aus dem Häuschen.
»Ich bin hier wohl nur noch von Unabhängigkeitsfanatikern umzingelt! Was ist denn mit Alfonso XIII.? Der war doch ein Freund der Familie, oder etwa nicht? Hier werden wir alle noch verrückt! Selbst die Herrschaften verteidigen nun schon Macià und sein Statut«, empörte sich Higinio, der aus Chinchilla de Monte-Aragón stammte, einem Ort in der kastilischen Provinz Albacete, in dem er fünfunddreißig Jahre seines Lebens verbracht hatte, ohne sich jemals solche politischen Komplikationen vorstellen zu können.
»Ihr seid einfach furchtbar, ihr habt nur noch ein Thema«, stellte Antonia fest, während sie mit einem Blick das Arrangement von Teresas Frühstück guthieß. »Begreift ihr denn nicht, dass es hierfür einfach keine Lösung gibt und auch niemals geben wird?«
Die Schnitze einer Orange, zwei Scheiben Kochschinken und ein hartgekochtes Ei waren auf dem edlen Porzellanteller angerichtet. In einem Weidenkörbchen rechts davon ruhten zwei frisch gebackene Brötchen, eine kleine Keramikschale enthielt drei Butterflöckchen und eine andere die Brombeermarmelade, die die Señora so gern aß. Das Besteck, die Leinenserviette, das Kristallglas und die Porzellantasse. Alles befand sich am rechten Fleck.
Carmela war nirgendwo zu sehen, da baute sich Laia vor dem Tablett auf und bot emsig an: »Ich kann ja das Tablett mit dem Kaffee und dem Saft hinauftragen.«
»Lass sein, Mädchen. Du fällst mir noch auf der Treppe.«
Sie gerieten in Streit. Das Mädchen beharrte auf seinem Vorsatz. Als Vicenta schließlich zustimmte, tauschten sie die Tabletts aus, und Antonia und Laia machten sich auf den Weg nach oben.
»Lass sie«, flüsterte Vicenta Antonia ins Ohr. »Sie verehrt die Señora Teresa. Sie wird ihre Aufgabe gut machen.«
Antonia war eine schmächtige, aber zähe Frau. Ihre Haltung war kerzengerade, doch ihre Bewegungen waren überaus geschmeidig. Ihr langes, glattes aschbraunes Haar trug sie zu einem Haarknoten zusammengesteckt, aus dem immer die eine oder andere Strähne herauslugte. Von hinten hielt man sie durchaus für eine junge Frau, doch ein Blick in ihr Gesicht genügte, um diesen Irrtum zu bemerken. Ihre fünfzig Lebensjahre hatten um ihre Wangen, ihre Mundwinkel und ihre Augenpartie ein Netz von Falten gelegt, die allmählich die Narben verdeckten. Diese waren allerdings so alt, dass sich niemand an Antonias Gesicht ohne sie erinnern konnte.
Die Pockennarben hatte sie schon, als sie im Hause Brusés in Stellung ging. Sie waren sogar der Ausschlag dafür gewesen, dass sich die gestrenge Doña Silvia Bessa de Brusés unter mehreren Bewerberinnen für Antonia entschied. Teresas Mutter wählte ihr Personal stets unter einem besonderen Aspekt aus: Sie bevorzugte nämlich im Allgemeinen hässliche Dienstmädchen, denn sie war davon überzeugt, dass die Mädchen weniger von ihren Pflichten abgelenkt wurden, wenn ihnen niemand den Hof machte. Bei Antonia lag sie mit diesem Kriterium absolut richtig. Diese Frau arbeitete unermüdlich, und ihre Ehrlichkeit war ebenso unumstößlich wie ihre Jungfräulichkeit. Antonias moralische Überlegenheit war die einer Frau, die niemals in Versuchung geführt wurde, aber deshalb war sie keineswegs sauertöpfisch, ganz im Gegenteil. Wenn Antonia über Männer sprach, dann immer mit einer verblüffenden Freimütigkeit.
»Da werde ich doch lieber Nonne, ehe ich heirate!«, sagte sie stets. »Gott respektiert wenigstens im Bett die Frauen!«
Antonia war kurz vor der Geburt von Teresa – Tessita für Antonia – ins Haus der Familie Brusés gekommen. Dort wirkte sie zwölf Jahre lang als Kinderfrau der jüngsten Brusés-Tochter und auch von deren Schwestern Silvita und Luisa. Sie erlebte mehrere Umzüge und überstand auch die übrigen Wechselfälle: die Rechtschaffenheit einer Doña Silvia, die klerikale Tristesse einer Doña Matilde und den Angriff auf die guten Sitten seitens der verwaisten Geschwister.
Später übernahm sie im Hause Brusés Posten mit immer mehr Verantwortung, von der Leitung der Küche und bis hin zur Haushaltsführung … Als Teresa und Amadeo ihre Verlobung verkündeten, betete sie darum, dass ihr kleines Mädchen sie mit in ihr neues Heim nähme und sie aus diesem Chaos
Weitere Kostenlose Bücher