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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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Ortswechseln, also schrieb sie wie eh und je an ihrem Tisch im englischen Stil, fertigte ihre Kreuzstickereien in ihrem Schaukelstuhl neben dem großen Fenster und machte sich in ihrem geräumigen Ankleidezimmer neben dem verspielten Badezimmer zurecht, das zum Zeitpunkt seiner Einrichtung den reinsten Luxus dargestellt hatte. Auf der anderen Seite des Flures befanden sich die Räume, die einst Don Rodolfo bewohnt hatte. Maria del Roser brachte zwar genügend Mut auf, diese zu räumen, nicht aber, sie wieder zu bewohnen. Also waren sie einfach da und harrten der Ereignisse. Die herrschaftlichen Zimmer im ersten Stockwerk bekamen am wenigsten den Auszug der Familie zu spüren. Wenn wir im großen Salon, im Kabinett oder im Patio bleiben würden, könnten wir uns der Täuschung hingeben und glauben, dass hier die Zeit stehengeblieben ist. Es sei denn, wir sähen genauer hin und würden die kleinen Veränderungen beachten: die Bilder an den Wänden oder der Wechsel der Pflanzen.
    Wir sollten darauf hinweisen, dass 1920 für das gesamte Haus tatsächlich ein Jahr der Veränderungen war: In dem Jahr wurde aus Juan Lax Golorons der Jesuitenpriester Padre Juan. Die Priesterschaft war das Ende eines langwierigen Prozesses, der sechs Jahre zuvor einsetzte, als der glänzende Zweitgeborene der Familie seiner Mutter seinen Entschluss mitteilte, ins Jesuitenseminar einzutreten. Diese Ankündigung verdarb damals Doña María del Roser das Frühstück und den gesamten Tag, für den eigentlich zahlreiche Besuche geplant waren, die sich bis nach dem Mittagessen hinziehen würden.
    »Du bringst mir keine guten Nachrichten«, begrüßte die Mutter ihren Sohn, als er mit eingefallenem Gesicht ihren kleinen Salon betrat. »Das verraten mir deine Augen.«
    »Sie täuschen sich. Ich möchte Sie an meinem Glück teilhaben lassen.« Das Verstummen seiner verblüfften Mutter ermutigte Juan weiterzusprechen. »Ich habe eine Entscheidung für meine Zukunft getroffen.«
    In den letzten Monaten hatte die Witwe gelitten, wenn sie ihren jüngeren Sohn in Nöten sah, die sie sich nicht erklären konnte. Zuerst hatte er sein Studium vernachlässigt, dann hatte er die Stelle aufgegeben, die sie selbst ihm mit Hilfe der Bestechung ihres Erstgeborenen verschafft hatte. Dann begann er, miserabel auszusehen und abzumagern, schließlich ließ er sich zu Hause kaum mehr blicken und begann zu trinken. Für einen so rebellischen und nonkonformistischen Geist wie Amadeo war dieses Verhalten keineswegs untypisch, aber in Juans Fall war es Anlass für allergrößte Sorge. Die wenigen Male, die die Mutter mit ihrem Sohn sprechen konnte, erhielt sie verständige Antworten und das Versprechen, sich zu bessern. Aber in Wirklichkeit erreichte sie nicht viel.
    Juans Laune wurde äußerst wechselhaft. Er legte eine Verantwortungslosigkeit an den Tag, die für sein Naturell absolut untypisch war. Dann lag der junge Mann auf einmal ganze Tage im Bett und hatte nicht einmal Lust aufzustehen.
    Zudem wollte es das Schicksal, dass Juans Lebenskrise mit Violetas Sterben zusammenfiel und dass das Drama des frühen Todes des Mädchens die übrigen Familienprobleme verdeckte. Es waren Wochen der Hölle, in denen Maria del Roser nur noch Kraft dafür fand, ihre Tochter zu ihrem Ende zu begleiten und für sie zu beten. Alles andere vernachlässigte sie. Violetas Krankheit war das letzte gemeinsame Anliegen der Familienangehörigen. Sie versuchten, dagegen anzukämpfen, indem sie die Patientin in Schweizer Sanatorien schickten, wo – so wurde ihnen zumindest versichert – die Mitglieder des Hochadels von noch schlimmeren Krankheiten kuriert wurden. Doch damit gelang ihnen nur, Violetas Agonie in die Länge zu ziehen. Nach ihrem Tod gab es nichts mehr, was die Familie verband. Mit Violeta war mehr von ihnen gegangen als nur das jüngste Kind. Mit ihr war auch der Glaube daran geschwunden, dass es für jedes Unglück eine Lösung gibt.
    Padre Eudaldo war in diesen traurigen Monaten ein steter Gast. Maria del Roser suchte den Priester auch auf, als sie von Violetas Krankheit befreit war und endlich die Lage ihres Zweitgeborenen bemerkte. Der Gottesmann eilte sofort zu Hilfe, wohl wissend, dass Seelennöte zuweilen ebenso dringliche Interventionen benötigen wie die des Körpers. Er zog sich mit Juan in dessen Zimmer zurück, wo sie mehr als acht Stunden in einem kaum wahrnehmbaren Flüsterton miteinander sprachen, von dem man vor der Tür nichts verstehen konnte.
    Am nächsten

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