Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
Sohn Vernunft annähme – seit einem gewissen Morgen, an dem sie in der Mansarde ein Geräusch hörte, als hätte sich dort ein Kaninchen verirrt. Sie schickte Carmela mit einem Besen hoch. Kurz darauf kam das Dienstmädchen beschämt zurück und berichtete, dass ein junges Mädchen höchst vergnügt durch das Atelier des »Señorito« springe, und zwar so, wie der liebe Gott es erschaffen habe.
Nun mischte sich Maria del Roser sehr wohl in die Angelegenheiten ihres Erben ein. Stolz und elegant wie immer, ging sie hoch, betrat rücksichtslos die ehemaligen Abstellräume in der Mansarde und schloss – allerdings zu spät – die Augen, um sich den Anblick der Obszönität zu ersparen, der sich ihr zwischen dem Chaos von Leinwänden, Staffeleien, Stühlen und Stofffetzen bot, in dem sich die Bettstatt ihres Sohnes befand.
Immer noch mit geschlossenen Augen sagte sie: »Señorita, unterbrechen Sie auf der Stelle Ihre Handlung und ziehen Sie sich an. Ich muss mit meinem Sohn unter vier Augen sprechen.«
Amadeo, mit seinen gerade mal einundzwanzig Jahren, muckte nicht auf. Vor seiner Mutter hätte er es nicht gewagt, sich auch nur annähernd so dreist zu verhalten wie bei seinen immer häufigeren nächtlichen Ausflügen. Während der wohlerzogene junge Mann mit gesenktem Haupt wartete, kam die Unbekannte hinter einem Wandschirm wieder hervor und griff nach ihrer Handtasche, die mit falschen Edelsteinen besetzt war.
Maria del Roser begutachtete ihre eindeutige Aufmachung, ehe sie mitteilte: »Der Fahrer wird Sie dorthin bringen, wohin Sie möchten. Guten Tag und danke für alles.«
Die junge Frau – sie war nur wenig älter als Amadeo – brachte nicht einmal ein paar Abschiedsworte hervor, so sehr war sie von der Höflichkeit beeindruckt, mit der die Hausherrin sie aus dem Haus warf.
Maria del Roser schloss die Tür, setzte sich zu ihrem Sohn auf die Bettkante und sprach in einer bislang nicht bekannten Härte mit ihm.
»Ich hoffe, dies ist das letzte Mal, dass du es wagst, eine Hure unter mein Dach zu bringen. Gibt es denn in der Stadt keine Bordelle mehr? Muss ich dich erst daran erinnern, dass dieses Haus kein Puff ist? Mit deinem Verhalten kompromittierst du deinen Familiennamen, und ich habe nicht vor, das zuzulassen.«
Natürlich war Amadeo keineswegs mit der Art und Weise einverstanden, mit der seine Mutter das Problem anging, aber er besaß immer noch genug Benimm – und Intelligenz –, um nicht zu widersprechen.
»Außerdem beunruhigt mich, das du nur hinter Nutten her bist. Hast du etwa Angst vor Frauen deines Standes? Befriedigt dich tatsächlich dieser flüchtige Glanz, den dir die ungebildeten Vorstadtmädchen verschaffen? Hältst du dich selbst für so mittelmäßig, dass du Mogeleien bevorzugst, anstatt dich an die Spielregeln zu halten? Wenn du so weitermachst, werter Sohn, befürchte ich allerdings, dass dich eine Geschlechtskrankheit vorzeitig außer Gefecht setzt oder dass du mir noch ein Straßenmädchen als Schwiegertochter anschleppst. Himmel noch mal, jetzt nimm endlich Vernunft an! Alt genug dafür bist du ja! Von deiner gesellschaftlichen Position will ich gar nicht erst reden! Hör endlich auf, uns Schande zu bereiten!«
Nach diesem Monolog schritt Maria del Roser erhaben wie die Königin von Saba hinaus und hinterließ ein Schweigen, das üblicherweise auf Kriegserklärungen folgt.
Nach dem Tag gab es in den nächsten Jahren kein heiratsfähiges Mädchen aus gutem Hause, von dem sie ihrem Sohn nicht berichtete.
»Kennst du eigentlich die Señorita Garí? Ich habe gehört, dass sie beachtlich Klavier spielt. Sie ist sogar Schülerin von Enrique Granados gewesen!«
Amadeo nickte nicht sonderlich überzeugt. »Mutter, sie ist einfach fade. Sie trägt sogar noch Korsett!«
»Ich habe erfahren« – so ein weiterer Versuch –, »dass die Tochter des Bankiers Benigne de la Riva immer nach der neuesten Mode gekleidet ist, sehr locker und leger. Außerdem hat sie die französische Schule besucht. Soll ich sie einmal zum Mittagessen einladen?«
»Machen Sie, was Sie möchten, Mutter«, antwortete Amadeo gleichgültig. »Ich glaube, ich kenne sie. Sie ist kugelrund wie ein Elefant.«
»Ich habe kürzlich beim Pferderennen Señorita Carles-Tolrà getroffen. Sie hat eine gute Figur und ein hübsches Gesicht, für meinen Geschmack ist sie allerdings etwas zu dünn. Kennst du sie?«
»Ja, Octavio hat sie einige Zeit hofiert. Sie ist eine krankhafte Verschwenderin.«
Amadeo
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