Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
als eine, die sich überhaupt nicht formen lassen würde«, erwidert Octavio. »Die modernen Frauen sind ganz anders als ihre Vorgängerinnen.«
Amadeo verwirft den Gedanken mit einer resoluten Handbewegung.
»In dieser Hinsicht täuscht sich die Moderne.«
»Bei einigen Sängerinnen sehe ich auch nicht die geringste Notwendigkeit, sie zu formen.« Octavio lächelt selig. Er ist noch von der unerreichbaren Schönheit berauscht, die er an dem Abend bewundert hat.
Sie sind soeben aus dem Salón Doré gekommen, wo sie Bella Olympia bewundert hatten, die Schöne Olympia. Octavio hatte sie noch nicht gekannt, denn die Verpflichtungen, die ihm sein Vater inzwischen auferlegt hat, haben ihn in letzter Zeit von den nächtlichen Vergnügungen ferngehalten. Nun führt er das Leben eines katalanischen Geschäftsmannes, was bedeutet, dass er um halb elf Uhr abends zu Bett geht und für Frauen keine Zeit hat. Doch Gott sei Dank hat er einen Freund, der sich um sein Wohlbefinden und um seine Bedürfnisse sorgt und der sich darum kümmert, ihn über die Sensationen der Stadt auf dem Laufenden zu halten. Ohne Amadeo wäre er mit seinen etwas mehr als zwanzig Jahren bereits ein alter Mann. Diese Bella Olympia ist eine dieser Neuheiten, über die alle sprechen und die er ohne seinen Freund nicht erlebt hätte. Und höchst erfreut gibt er all den Männern recht, die die Reize der hübschen Couplet-Sängerin rühmen und darüber hinaus in sie verschossen sind. Von heute an gehört Octavio zu Olympias ergebensten Verehrern.
Die beiden jungen Männer kosten das Erlebnis aus, sie haben ihre Hemden abgelegt und lachen vor sich hin, während sie den dritten Brandy des Abends hinunterkippen. Von einem Augenblick zum anderen wird Amadeo ein As aus dem Ärmel zaubern.
»Diese Bella Olympia wird schuld daran sein, wenn ich niemals heirate«, meint Octavio theatralisch. »Wozu denn, nachdem ich diesen Körper gesehen habe? Denkst du, ich kann irgendwo eine Frau wie sie finden? Womit werde ich mich zufriedengeben, nachdem ich das Paradies erahnt habe?«
Octavio ist angeheitert und denkt gar nicht daran, irgendetwas zu unternehmen, um in den nächsten Stunden diesen Zustand zu ändern.
»Ich habe ja gewusst, dass sie dir gefallen würde«, pflichtet ihm sein Freund bei. »Was würdest du dafür geben, sie auszuprobieren?«
Octavio kichert. »Wen? Diese Göttin? Ich?«
»Spricht etwas dagegen? Hast du Angst davor?«
»Du sagst es! Ich habe keinen Mumm. Ich tauge nicht für Duelle. Ich habe gehört, dass sie die Geliebte von irgendeinem Industriellen ist.«
»Ich glaube, keine Frau ist ein Duell wert«, merkt Amadeo an, während Octavio zweifelnd den Kopf wiegt. »Ein Industrieller? Woher hast du das denn?«
»Die ganze Stadt weiß angeblich Bescheid. Es heißt, dass er sie entdeckt und zu ihren Triumphen geführt hat.«
»Das muss aber ein einflussreicher Mann sein«, meint Amadeo im Plauderton.
»Und ein Glückspilz«, stimmt Octavio zu. »So eine verlockende Schönheit für sich alleine zu haben! Wenn ich das nur könnte!«
»Wie viel würdest du bezahlen, um an seiner Stelle zu sein?«
»Willst du mir vielleicht eine Nacht mit Olympia schenken? Du bist aber großzügig! Kennst du ihren Mentor, oder bist du bereit, dich für mich zu duellieren?«
»Wenn du dich wegen ihr duellieren möchtest, meinetwegen gerne, aber ich warne dich, ich habe eine gute Trefferquote.«
Octavio reagiert unter dem Einfluss des Alkohols nur langsam. Er reibt seine Wangen und zieht die Augenbrauen hoch. Doch nicht einmal so kann er das Rätsel ergründen. Amadeo kommt ihm zu Hilfe, indem er seine Karten aufdeckt.
»Ich bin der Industrielle, von dem du gehört hast.«
Octavio reißt Augen und Mund weit auf. Er sieht so verblüfft aus, dass sein Freund zu lachen beginnt.
»Du? Das kann doch nicht wahr sein! Du nimmst mich auf den Arm!«
Amadeo steht auf, nimmt einen Schlüsselbund aus seinem Sakko und überreicht ihn seinem Freund.
»Überprüf das selbst. Rambla de Catalunya, 26, dritter Stock. Das ist Olympias Wohnung, also eigentlich ist es meine Wohnung, aber ich stelle sie ihr zu Verfügung. Das Schlafzimmer liegt am Ende des Ganges. Sag ihr, dass ich dich schicke.«
»Einfach so? Sonst nichts? Und wenn sie schläft?«
»Dann weckst du sie auf und sagst ihr, dass sie sich so um dich kümmern soll, als wenn ich es wäre.«
Octavio spürt, wie die Begierde sein Herz beschleunigt und zwischen seinen Beinen ein unerträgliches Pochen
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