Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
allzu traumatisch wird.
Also, Violín: Ich habe mein Manuskript abgegeben, meine Verlegerin hat mir schon ihre ersten Kommentare geschickt. Sie sind vielleicht ein wenig zu enthusiastisch für jemanden wie mich ausgefallen, der so viele Lehren – und Genuss! – aus den Urteilen anderer zieht. Aber das Beste ist: Zum ersten Mal seit drei Jahren bin ich ein Mensch ohne irgendwelche Verpflichtungen!!!
Das erinnert mich daran, dass ich ein Leben habe, das es zu entdecken gilt, zwei wunderbare Kinder sowie eine Ehefrau auf Europareise, von der ich seit Wochen nichts mehr gehört habe.
Geht es dir gut? Ist irgendetwas passiert, das es wert ist, erzählt zu werden? Gibt es für deine Funkstille noch mehr Gründe als deinen Respekt vor meiner Arbeit? Weißt du, dass du bald Geburtstag hast? Ich habe beschlossen, die Kinder bei meiner Mutter zu lassen und den nächsten Flieger nach Barcelona zu nehmen. Mir geht es großartig, aber ich muss unbedingt aus dieser Höhle hier raus. Außerdem gefällt mir nicht, dass du deinen vierzigsten allein und so weit weg von zu Hause feierst.
Ich liebe dich!
D.
XXII
»Antworte gefälligst! Ich habe dich etwas gefragt!«
Don Rodolfos dröhnende Stimme lässt den finsteren jungen Mann, den er vor sich hat, zusammenzucken. Amadeo bemüht sich darum, die Fassung zu bewahren. Bei seinem Vater liegen die Nerven blank. Die Rolle des Richters steht ihm großartig. Er kann nicht verstehen, wieso Amadeo so empfindsam ist, und zudem gibt es noch einige wichtige Angelegenheiten, die im Salon auf ihn warten, und zwar in Gestalt jener Herren, die allmählich nervös werden.
Man kann davon ausgehen, dass dies ein Gespräch von Mann zu Mann ist, doch einer von ihnen wirkt nicht sonderlich gesprächsbereit.
»Kannst du mir die ganze Sache endlich mal erklären? Ich habe schließlich nicht alle Zeit der Welt, mein Sohn.«
Amadeo hält dem Blick seines Vaters stand und gewinnt Zeit. Aus Erfahrung weiß er, dass Don Rodolfo die Rolle als Schiedsrichter in Familienstreitigkeiten nicht lange aushält. Schließlich hat Rodolfo das Schauspiel satt und schlägt mit der Faust auf den Tisch, so dass ein Fläschchen mit Beltrán-Elixier – »bei nervösen Zuständen« – auf den Teppich fällt und dort seinen übelriechenden Inhalt verteilt. Der Vorfall mindert nicht gerade die Anspannung. In diesem Moment klopft es an die Tür.
»Herein«, befiehlt Don Rodolfo im Tonfall eines Inquisitors.
»Gerade ist Padre Antonio Iñesta gekommen«, verkündet Eutimia, die sich durch kein Geschrei aus der Ruhe bringen lässt.
Vater und Sohn tauschen einen Blick aus, dessen Bedeutung nur sie verstehen. Für die Zuschauer, falls es denn welche gibt, ist es hilfreich zu wissen, dass Padre Iñesta der Leiter des Internats in Sarrià ist.
»Sagen Sie ihm, dass ich ihn gleich empfange«, ordnet Don Rodolfo an. »Und für die anderen Herren gilt das Gleiche.«
Die Haushälterin ist ein alter Hase. »Ich habe gesehen, dass die Herren ein wenig unruhig sind und habe ihnen ein Frühstück servieren lassen. Sie haben reingehauen wie die Scheunendrescher und sind nun etwas besser gelaunt. Machen Sie sich keine Sorgen – wenn ich sehe, dass es noch länger dauert, werde ich ihnen noch ein paar Rühreier mit Kartoffeln zubereiten lassen.«
»Kann sein, dass ich selbst ein paar Eier benötige, Eutimia.« Rodolfo blickt beim Sprechen seinen Sohn an. Dabei betont er die Worte so, dass die Haushälterin begreift, dass nicht sie gemeint ist, und in aller Ruhe geht. Bevor sie die Tür völlig schließt, sagt der Señor noch: »Womöglich brauche ich vier, wenn du mir nicht endlich erzählst, was ich Padre Iñesta sagen kann.«
»Ich habe nichts zu sagen, Vater. Ich gehe davon aus, dass er Ihnen seine Version anbieten wird. Ich bitte Sie nur darum, dass Sie für mich die Maxime gelten lassen: ›Im Zweifel für den Angeklagten.‹«
»Zum Teufel noch einmal, jetzt sag doch so etwas nicht! Das ist doch keine Gerichtsverhandlung!«, schreit Rodolfo völlig außer sich. Amadeo sagt weder so etwas noch irgendetwas anderes. Er betrachtet den ekligen Saft, der in den Teppich eindringt. Das Schweigen verströmt eine Eiseskälte, als Maria del Roser die Tür öffnet und erschrocken hineinsieht.
»Liebling, im Salon warten die Leute wie beim Schlachter. Willst du denn heute niemanden empfangen?«
»Sag das mal deinem Sohn. Der macht mich noch verrückt!«
»Und du ihn taub, nach allem, was ich gehört habe.« Sie betritt resolut das
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