Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
verzichtete nicht auf die Angewohnheit, Frauen mit nach Hause zu nehmen, aber er lernte, dies nur noch in der Abwesenheit seiner Mutter zu tun.
Zwischen seinem zwanzigsten und dreißigsten Lebensjahr waren die Sommermonate die ideale Zeit für dieses leichtfertige Leben. Kein Freund der Sommerfrische und auch nicht der Sommerfrischler, blieb er in Barcelona zurück. Er verzichtete von sich aus auf das ganze Personal und musste seiner Mutter lange Erklärungen darüber abgeben, wie er zurechtkommen wollte, ohne dass jemand für ihn kochte oder seine Kleidung bügelte. Als er schließlich befürchtete, dass Doña Maria del Roser nicht nach Caldes d’Estrac abreiste, willigte er schließlich darin ein, dass während der Abwesenheit der übrigen Hausangestellten eigens für seine Versorgung zeitlich befristet ein Hausfaktotum, eine Büglerin sowie ein Hausmädchen eingestellt wurden.
Die ersten Jahre waren die besten. Amadeo erlebte seine persönliche Sommerfrische, während der er sich wie ein Maharadscha aufführte. Die wichtigste Entscheidung des Tages bestand darin, das Restaurant für das Mittagessen auszuwählen. Morgens wandelte er splitterfasernackt durch das Haus und malte nur zuweilen ein wenig. Er arbeitete lieber am Nachmittag, während der Sonnenstunden, natürlich nur, sofern er nicht durch den Besuch von irgendeiner Señorita in Beschlag genommen wurde. Abends ging er ins Theater oder besuchte die Vergnügungsstätten in der Avenida del Paralelo, oft in Begleitung seines Freundes Octavio, der genauso vergnügungssüchtig war wie er.
»Wenn uns unsere Väter sehen könnten, würden sie uns auf der Stelle enterben«, flüsterte Amadeo kichernd bei einem dieser Exzesse.
Amadeo hatte recht. Wäre sein Vater noch am Leben, hätte dieser ihn mit seinen exemplarischen Strafen belegt. Don Eduardo Conde wiederum griff kaum ein, aber nur, weil er das Gefühl hatte, dass sich sein Sohn ohnehin von selbst ändern würde, und zwar bevor es zu spät wäre.
Als wären sie eine Beschwörungsformel, um die Zeit anzuhalten, wählen wir Amadeos folgende Worte, um den nächsten Akt zu beginnen. Wir könnten genauso gut irgendeinen anderen Abend auswählen von den vielen, die die beiden zügellosen Brüder im Geiste hier im Salon verbrachten. Aber keiner besäße die gleiche Symbolik wie dieser.
Wir sehen die beiden im großen Salon in den gelben Samtsesseln sitzen. Im Kamin brennt natürlich kein Feuer. Die Tür zum Patio steht sperrangelweit offen. Wir befinden uns im Jahr 1913, in dem die jungen Männer vierundzwanzig Jahre alt sind. Es weht eine angenehme Brise herein, die aber nicht ausreicht, um die Hitze zu lindern, die Ende Juli in Barcelona herrscht.
»Das Beste, was man mit einer Frau machen kann, ist, sie so zu formen, wie es einem gefällt«, meint Amadeo mit Blick auf die Stuckdecke, während er seine Rede fortsetzt, die ein wenig vom Alkohol angefacht wird. »Sie in ihrem natürlichen Zustand wie einen Rohdiamanten für sich gewinnen, zuerst alles schleifen, was an ihr zu viel ist, und dann ihre Persönlichkeit genau den eigenen Wünschen anpassen. So wie man einen Hund für die Kirmes dressieren würde. Dann sind Frauen gefügig und formbar. Und für sie selbst ist es nur von Vorteil, denn so haben sie noch etwas davon, wenn du sie für die Nächste verlässt, findest du nicht?«
Die Männer brechen in derbes Gelächter aus, dabei wissen beide sehr wohl, dass Amadeo keinen Scherz macht. Das, was er gerade zusammengefasst hat, als gelte es, feste Regeln aufzustellen, entspricht seinem üblichen Handlungsmuster: Er besucht ein Spektakel, kapriziert sich auf die jüngste Chorsängerin oder Tänzerin, und sobald der Vorhang gefallen ist, besucht er sie in ihrer Garderobe. Bevor er sie irgendwohin bringt, führt er sie in eine elegante Boutique, wo man sie als vornehme Dame verkleidet, und danach lädt er sie zum Abendessen ins Séparée im Café Suizo ein, wo man seine Exzesse bereits kennt und sich nicht erschüttern lässt. Dort trinken seine Begleiterinnen Champagner, bis sie die Kontrolle verlieren, ohne Unterlass kichern und für einen Augenblick den Traum leben, eine andere Welt zu betreten. Für die Frauen endet die Nacht in irgendeinem Bett, dem eigenen oder in einem Hotel, in dem sie dann allein aufwachen. Auf dem Nachttisch finden sie üblicherweise ein großzügiges Taschengeld. Vor der Tür erwartet sie Julián, der bereitsteht, sie dorthin zu bringen, wo sie hingehören.
»Aber ich kenne mehr
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