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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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Krankheit wie Margot. Trauriger Zufall, nicht? Als wäre Krebs ansteckend. Wahrscheinlich bin ich als Nächste dran, denn es heißt ja, dass das genetisch sei.«
Ich fand die Unbekümmertheit und die Respektlosigkeit, mit denen Isabel über das Drama sprach, einfach schockierend.
»Wollen Sie mir nicht endlich verraten, wer Sie sind?«, platzte sie schließlich heraus.
»Natürlich. Ich bin Violeta Lax. Ist es möglich, dass ich noch mal vorbeischaue?«
»Warum nicht? Aber als man meine Mutter hierher verlegt hat, hat sie nicht mal zwei Nachrichtensendungen überlebt. Wenn Sie Margot etwas Wichtiges sagen wollen, sind Sie wohl etwas spät dran. Aber wenn Sie wollen, können Sie es ihr aufschreiben, und ich lese es ihr bei Gelegenheit vor.«
Nicht, dass ich die Vorstellung besonders verlockend gefunden hätte, dass dieses Wesen mit dem losen Mundwerk und ohne jegliche Hemmungen zum Sprachrohr für meine intimsten Gefühle würde, aber mir blieb keine andere Wahl. Ich suchte nach einer Visitenkarte und schrieb auf den engen freien Platz: Es ist zu spät, aber ich möchte dich um Verzeihung bitten für meinen Abschied ohne Adiós. Sei geküsst. Vio.
Ich übergab Isabel die Karte, und sie las noch vor meinen Augen meine Zeilen, ohne jede Diskretion. Dann starrte sie mich mit großen Augen an.
»Du bist doch wohl nicht etwa die Frau aus dem Lied?«, fragte sie mich, während sie unaufgefordert zum Du überging.
Aus meinem Schweigen hat sie wohl geschlossen, dass ich das bin. Sie führte eine Hand an die Stirn, zog die Augenbrauen hoch und riss die Augen noch weiter auf. So als hätte sie gerade eine unglaubliche Neuigkeit erfahren.
»Das ist ja heavy! Voll krass, aber wirklich! Du hast echt Mut, einfach so hier aufzutauchen.«
Ich hätte dieses Gespräch keine weitere halbe Minute ausgehalten. Ich bat sie, mir ihre Telefonnummer zu geben und fragte sie dann, ob ich sie am nächsten Tag anrufen kann. Sie hatte nichts dagegen. Dann verabschiedete sie sich von mir mit einem freundschaftlichen und munteren: »Adiós, Vio. Adiós, Violeta.«
Ich glaube, dieser Song aus dem Jahr 1995, der nun noch einmal auf ihrer letzten CD veröffentlicht ist, klang in Isabel genauso heftig an wie in mir.
Palabras de despedida
para tu marcha, Violeta,
niña, ensoñación, poeta,
ilusión a la deriva.
Fuiste la estrella que pasa,
te marchaste de mi casa
sin decir un triste adiós
y el beso de despedida
fue un pedazo de tu vida
que nos robaste a las dos.
No deshagas tus maletas,
no te devuelvas la calma,
Contigo dejo mi alma.
Adíos Vio, adiós Violeta.
(Mein Sehnen klingt in diesem Lied,
Violeta, zu deinem Gehen.
Frausein, Träumen und Verstehen,
Hoffnung, die hinwegzieht.
Lichtstern, der vorüberflog,
einfach so bei mir auszog,
ohne Adiós zum Abschied.
Uns beiden fehlt der würdige Schluss,
bist gegangen ohne Abschiedskuss,
so wie ein gemeiner Dieb.
Lass deine Koffer zu,
und komm nur nicht zur Ruh.
Meine Seele gehört dir bloß,
Vio, adiós, Violeta, adiós.)
Ich habe heute Morgen Isabel angerufen. Schon ihre Stimme hat mich aggressiv gemacht.
»Du hast es schon gehört, ja?«
»Was?«
»Verdammte Scheiße, Violeta. Margot ist tot! Das haben sie heute Morgen in allen Nachrichten gebracht.«
»Ich habe keinen Fernseher, Entschuldigung«, brachte ich zu meiner Rechtfertigung vor.
Sie sprach mit belegter Stimme. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen.
»Es tut mir leid«, habe ich gesagt, »mehr als du denkst.«
»He, wenn du willst, können wir uns mal treffen und ’ne Runde schwatzen. Vielleicht nach dem Begräbnis. Du schaust doch vorbei, oder?«
Ich bin nicht mal in der Lage gewesen, darauf etwas zu sagen. Ich habe nicht die geringste Lust hinzugehen. Ein Friedhof ist nicht gerade der passende Ort für ein Wiedersehen. Vor allem, wenn einer von beiden die Tote ist.
»Ist schon okay«, stellte Isabel fest. »Hör mal, ich hab nicht so viel Zeit. Weißt du, so ein Tod macht ganz schön viel Arbeit. Wenn du willst, sehen wir uns ein anderes Mal und quatschen in Ruhe weiter.«
Ich habe zwar zugestimmt, aber ich wusste sehr wohl – und ich denke, sie auch –, dass wir uns nie wieder sehen werden. Ich wollte mich gerade verabschieden, als sie sagte: »Übrigens, ich habe ihr deine Nachricht vorgelesen.«
Da tat mein Herz einen Satz.
»Und, was hat sie gesagt?«
»Nichts. Schweigen. Sie ist gegangen. Ohne dir Adiós zu sagen. Ich denke, jetzt seid ihr quitt.«
Nicht einmal in dieser Situation habe ich gewusst, ob

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