Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
pragmatisch war wie – zumindest zu dem Zeitpunkt – legal.
»Du könntest dich scheiden lassen. Das ist doch besser als lebenslänglich unglücklich zu sein. Dein Mann ist ein alter Egozentriker, der hat nur seine Geliebten, seine Autos und seine Malerei im Kopf. Die Zeiten haben sich schließlich geändert! Wir Frauen haben inzwischen sogar das Wahlrecht!«
Teresa hörte Tatín mit trauriger Miene zu.
»Außerdem würde ich dich begleiten. Ich finde New York großartig! Ich möchte mir schon seit einiger Zeit dort eine kleine Wohnung kaufen. Wenn wir erst einmal dort sind, werden wir deinen Octavio schon finden. Ich habe in Amerika gute Freunde, die uns liebend gerne dabei helfen werden. Es muss irgendeinen Grund geben, warum er dir nicht geschrieben hat. Dieser Mann ist ein Gentleman, das wissen wir beide.«
Tatín verströmte eine derartige Selbstsicherheit, dass Teresa zum ersten Mal das Gefühl hatte, es gebe einen Ausweg aus ihrem Unglück. Nach diesem Gespräch begann sie, ihr Leben mit anderen Augen zu sehen. Nicht wie ein schweres Joch, das sie mit einem Mann und einem Ort verbindet, zu dem sie nicht mehr gehört, sondern wie ein Bündel von Wegen, die zu vielen verschiedenen Zielen führen und zwischen denen sie den auswählen kann, der ihr am besten gefällt. Teresa erinnert sich an Maria del Rosers Worte: »Wir Frauen haben die Freiheit, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und unseren Ausbeutern zu entfliehen«, hatte diese einmal postuliert. Was würde ihre Schwiegermutter sagen, wenn der Ausbeuter, gegen den sie sich auflehnen will, ihr eigener Sohn ist?
Teresas Erinnerungen werden zunehmend düsterer, wenn sie an Amadeo denkt, an ihren einst so verehrten Gemahl. Sie fragt sich, ob es daran liegt, dass sie sich verändert hat. »Du bist einfach zu gutmütig, Tessita. Du kriegst einen Mann, und ein Jahr später hast du einen Nichtsnutz aus ihm gemacht«, hatte Tatín ihr einmal vorgeworfen. In letzter Zeit verhält Amadeo sich anders. Er hat ihr verboten, weiter an den Treffen der Spiritisten teilzunehmen – Amadeo bezeichnet sie als »einen Haufen Spinner« –, und Teresa darf nur noch in Conchas Begleitung das Haus verlassen. Zuweilen betrachtet er sie mit einer Eiseskälte, die sie in Panik versetzt. Manchmal macht er ihr Geschenke und sagt ihr, dass alles wieder so sein soll wie früher. Er verwirrt sie. Er isoliert sie, und das ist das Schlimmste. Von den Menschen, die für sie wichtig gewesen sind, bleibt ihr nur noch Tatín.
Antonia verließ Anfang 1933 den Haushalt. Sie machte deutlich, dass ihre Entscheidung unumstößlich sei, und war zu keinen weiteren Erklärungen bereit. Teresa bedauerte ihren Weggang sehr, dabei war er nur ein weiterer schmerzlicher Verlust, der in ihrem Leben hinzukam. Octavio, Maria del Roser, der Amadeo, den sie einst geliebt hat …
Aber Tatín wiegt alles auf. Sie ist zu unglaublichen Heldentaten fähig. Zum Beispiel sprach sie Amadeo auf Teresas traurige Lage an.
»Deine Frau erlischt wie ein Kerze«, warf sie ihm vor. »Ich denke, du solltest etwas dagegen unternehmen.«
Die Unterredung fand im Kabinett statt und war von der Anspannung der Gesprächsteilnehmer ebenso bestimmt wie von einer gewissen Förmlichkeit.
Tatín – ganz im Sinne ihrer Rolle als Familienoberhaupt, die sie in den letzten Jahren angenommen hatte – zählte die Fakten auf, wobei sie keinen Aspekt ausließ – auch nicht die Jugend und den verträumten Charakter ihrer jüngsten Schwester –, und Amadeo ließ sie ausreden, um dann unbeirrt zu erwidern: »Deine Schwester hat bekommen, was sie wollte, werte Schwägerin.«
Nach dieser Audienz war Tatín Brusés überzeugt, dass Teresa ihren Mann schnellstmöglich verlassen sollte. Von da an begannen die beiden Schwestern, einen Plan auszuhecken, der drei wichtige Faktoren enthielt: Ehrlichkeit, Zweckmäßigkeit und Schnelligkeit.
Während des Sommers 1936, zu dem wir nach der kurzen Abschweifung wieder zurückkehren, haben sie viel über ihre Pläne gesprochen, während sie in Caldes unter den Pinien zusammensaßen. Sie haben alle Details bedacht. Tatín hat für sie beide und den kleinen Modesto eine Kabine auf einem Dampfschiff reserviert, das am 10. September in Barcelona ablegen soll. Selbstverständlich heimlich, damit niemand im Voraus von ihren Plänen erfährt. Es geht für Teresa nur noch darum, den geeigneten Moment zu finden, um Amadeo darüber in Kenntnis zu setzen.
Während Teresa in dieser
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