Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
im Citroën, um in der Iglesia de la Concepción einen Gottesdienst zu besuchen. Vermutlich war es ein Sonntag, und sie war wieder schwanger, ohne es zu wissen. Kaum hatten sie den Paseo de Gracia erreicht, verspürte sie eine starke Übelkeit und musste Julián bitten, sie sofort zurück nach Hause zu fahren. Teresa lief die Treppe hoch und hielt sich den Mund zu, damit sie sich nicht schon irgendwohin übergab. Als sie auf dem Weg zum Badezimmer die Tür zu ihrem kleinen Salon öffnete, entdeckte sie die Tochter des Fahrers in ihrer Ankleide, die ihre Schuhe trug und sich im Spiegel bewunderte. So von der Señora ertappt, erblasste das Mädchen vor Schreck.
Sobald sie wieder reagieren konnte, stellte Laia die Schuhe an ihren Platz zurück, löschte das Licht und hastete mit pochendem Herzen hinaus. Sie erwartete einige Tage lang eine Standpauke, zu der es aber nicht kam. Ganz im Gegenteil. Immer, wenn sie im Haus Señora Teresa über den Weg lief, schenkte diese ihr amüsiert einen komplizenhaften Blick. Doch die große Überraschung hatte Laia an ihrem Geburtstag vorgefunden, als sie eine Schachtel geschenkt bekam, die in schillernd rotes Papier eingepackt war und in der sie ein Paar kostbare hohe Schuhe entdeckte. Es waren die ersten in ihrem Leben.
Nun fühlt sich Teresa erleichtert, als sie endlich alle Kleidungsstücke ausgezogen hat – außer dem Seidenhöschen – und das bereitliegende Nachthemd überstreift. Den Morgenmantel legt sie am Fußende des Bettes ab. Es ist zu heiß, und sie hat auch nicht vor, noch jemanden zu empfangen. Sie ist aber auch nicht müde. Sie setzt sich auf den Diwan, um vom Fenster aus die menschenleere Straße zu betrachten. Die Luft steht. Doch ihre Gedanken wandern hin und her, sie lässt den Abend noch einmal Revue passieren.
Die Komödie war belanglos, aber höchst amüsant gewesen. Sie hat ihr besser gefallen als das letzte Werk des Bühnenautors, die Satire gegen den Kommunismus. Ein Gedanke führt zum nächsten, und Teresa erinnert sich an den Nachmittag, an dem sie sich getraut hatte, ihrer Schwester ihr Herz mit einer Offenheit auszuschütten wie nie zuvor. Und zwar genau hier, in dem kleinen Salon. Tatín hatte auf dem Sessel und Teresa auf dem Diwan gesessen, so erschöpft wie jetzt, weil sie vier Tage lang nichts gegessen hatte. Die Älteste der Brusés-Schwestern war ohne Ankündigung aufgetaucht und die Treppe hochgegangen, als würde sie in fremdes Gebiet eindringen. Kaum hatte sie die Tür zum Zimmer ihrer Schwester geöffnet, musterte sie diese von Kopf bis Fuß, zog die Lippen kraus, stemmte die Arme in die Hüften und schalt sie: »Kann man mal erfahren, warum du um diese Tageszeit noch nicht angezogen bist? Du siehst ja furchtbar aus. Bist du krank?«
Tatín, der nichts Menschliches fremd war, genügten vier Sätze, um Teresas Krankheit zu erfassen. Sie betrachtete das Buch von Gautier, das Teresa ihr ehrfurchtsvoll zeigte und das sie in den letzten Jahren so oft gelesen hatte, dass sie es fast auswendig kannte. Teresa gestand die Bedeutung, die das Buch für sie hatte, und strich so zärtlich mit den Fingerkuppen über die Symbole auf Octavios Exlibris, als wäre es Octavio persönlich. An dem Nachmittag gestand die kleine Schwester Dinge, die sie eigentlich niemals irgendjemandem hatte beichten wollen. Teresa war krank vor Zweifel und Unentschlossenheit. Und verrückt vor einer Liebe, die sie nicht vorhergesehen hatte.
»Jeden Abend, bevor ich schlafen gehe, stelle ich mir vor, mit Octavio in New York zu leben und ein glückliches Paar zu sein. Nur so komme ich ein wenig zur Ruhe«, gab sie zu.
Tatíns pragmatische Gesinnung hätte es niemals zugelassen, krankhaften romantischen Anwandlungen zu erliegen, und so kam sie direkt auf den Punkt: »Und warum fährst du nicht zu ihm?«
Teresa sah zu Tatín, als hätte diese ein Sakrileg begangen. Doch die große Schwester blieb hartnäckig.
»Jetzt lass den Kopf nicht hängen, du Dummchen! Geh zu diesem Mann! Seinetwegen bringst du dich doch um den Schlaf und nimmst keinen Bissen zu dir!«
Teresa riss entsetzt die Augen auf.
»Aber ich kann doch Amadeo nicht verlassen!«
»Jetzt komm schon! Du wärest nicht die Erste. Ehebruch ist so alt wie die Welt.«
Teresa errötete. Sie war nicht in der Lage, in solchen Kategorien über sich zu denken. Und schon gar nicht über Amadeo. Tatín erkannte, dass ihre Schwester diese Lösung niemals akzeptieren würde, und machte ihr einen anderen Vorschlag, der ebenso
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