Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
sie es ernst meinte oder nicht. Bevor sie auflegte, sagte sie noch: »Sie hat gelächelt. Das hat sie seit Tagen nicht mehr getan. Ich glaube, du hast sie glücklich gemacht, Violeta.«
Morgen werde ich alle Zeitungen kaufen.
XXV
Eine unvermeidliche gesellschaftliche Verpflichtung, die ihr allerdings sehr angenehm war, zwang Señora Teresa, den Abend des 17. Juli 1936 in Barcelona zu verbringen: Sie besuchte, gemeinsam mit Amadeo, die Premiere der neuen Komödie von Pedro Muñoz Seca mit dem Titel La tonta del rizo . Nach der Premiere im Teatro Poliorama speisten sie mit dem erfolgreichen Bühnenautor zu Abend, mit dem Amadeo eine lockere Freundschaft verband, seit sie sich vor ein paar Jahren in Madrid begegnet waren. Sie verbrachten einen netten Abend, den Don Pedro mit amüsanten Anekdoten und seiner freigebigen Art auflockerte, die Teresa so gefiel.
Es ist bereits zwei Uhr morgens vorbei, als das Ehepaar Lax durch die Einfahrt in den Wagenhof fährt. Der Hausherr steuert eigenhändig sein neuestes Steckenpferd: einen Mercedes Benz 500K, ein rotes Cabrio, dem er sich mehr widmet als jemals irgendeinem Menschen. Teresa sitzt auf dem Beifahrersitz, ausdruckslos wie eine Sphinx, mürrisch wegen des Fahrtwindes, der den Sitz ihrer Locken zerstört, obwohl sie diese mit einem geblümten Tuch geschützt hat, aber auch in Sorge, weil sie in den Straßen die Unruhe und die Aufruhrstimmung der Leute wahrgenommen hat. Nicht, dass die Bewohner von Barcelona von einer Revolte überrascht oder mit Aufständischen nicht vertraut wären. Aber die Atmosphäre wirkt wie die Ruhe vor dem Sturm.
Teresa ist missmutig. Sie hat keine Lust, in das Haus zurückzukehren, ehe diese lästigen Umbauarbeiten im Patio abgeschlossen sind. Sie hasst den allgegenwärtigen Dreck der Maurer, der sich weder vermeiden noch irgendwie abwaschen lässt. Und noch mehr hasst sie es, fernab von ihrer Sommerfrische in Caldes d’Estrac zu weilen, dem Flecken, der zu ihrem Zufluchtsort geworden ist, ihr Rettungsanker, ihre Kur gegen die unangenehmen Seiten des restlichen Jahres, der einzige Winkel, in dem es ihr gelingt, alles zu vergessen und wirklich glücklich zu sein. Das Meer und die Pinien sind Balsam für ihre Seele. Sie liebt ihre ausgedehnten Spaziergänge an der Küste, die sie in den wenigen gemeinsamen Sommeraufenthalten so oft mit Maria del Roser unternommen hat. Und sie liebt es, Tatín in ihrer Nähe zu haben, die sie regelmäßig besucht und manchmal längere Zeit bei ihr bleibt. »Ich bin das einzige Familienmitglied, das in deinem Haushalt Anrecht auf einen eigenen Teller, Besteck, Spucknapf und Handleuchter hat«, scherzt ihre älteste Schwester, die stets in bester Begleitung in Caldes auftaucht. In diesem Jahr ist es ein Herr aus Russland, dessen Stammbaum so weit zurückreicht, dass er nicht wagt, laut darüber zu reden. Wie alle vermögenden Leute weiß er sehr wohl, dass in diesen Tagen voller Chaos und Revolte überall Feinde lauern können.
Doch die meiste Ruhe verschafft Teresa in diesen Sommertagen – auch wenn sie das niemals aussprechen würde – die Abwesenheit ihres Ehemannes, dessen Abneigung gegen die Finca in Caldes im Verlauf der Jahre nur noch größer geworden ist.
Teresa steigt nach einem einsilbigen Abschied aus dem Wagen und geht mit müder Eleganz die Treppen hoch, direkt zu ihren Zimmern. Allein der Gedanke an das, was sie vorfinden wird, löst bei ihr eine erneute Erschöpfung aus. Alle Hausangestellten sind in Caldes, wo sie derzeit eher benötigt werden, nur Laia hat sie in Barcelona gelassen, damit diese sich um Amadeo kümmert. Als Teresa oben ankommt und das Schlimmste befürchtet, da sie von dem allgegenwärtigen hellen Staub angewidert ist, erlebt sie eine freudige Überraschung: Ihre Zimmer sind tadellos, die Schutzhüllen der Möbel sind fast alle abgenommen – wenn auch nur für diese Nacht –, die Zimmer gelüftet und ihr Bett ist aufgeschlagen. Auf der Bank im Ankleideraum liegen ein Satinnachthemd sowie Pantoffeln mit Troddeln. Beim Anblick der Sorgfalt, mit der alles vorbereitet wurde, hat sie einen Moment das Gefühl, Antonia wäre noch bei ihr. Sie fragt sich, ob sie das junge Mädchen, das für sie bis vor zwei Tagen nur eine aufdringliche Göre war, genügend schätzt.
Während Teresa ihre Abendrobe ablegt, kommt ihr eine Szene in den Sinn, die sich vor ein paar Jahren abgespielt hat. Laia war damals wohl noch nicht viel älter als zehn Jahre. Teresa und ihre Schwiegermutter saßen
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