Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
Gesellschaft für den alten Lax. Aufmerksam wie ein Krankenpfleger auf Hausbesuch, schmeichelnd wie der Bewunderer, der er tatsächlich war, auf Details achtend wie ein Sohn. Und diskret. Nicht nur in Bezug auf die Dinge, die er zu sehen bekam, sondern auch auf das, was verborgen blieb. So fragte Arcadio beispielsweise nie nach abwesenden Familienangehörigen. Er schob alles auf das exzentrische Künstlerleben. Er steckte seine Nase nicht in Dinge, die ihn nichts angingen. Im Großen und Ganzen vereinte er in seiner Persönlichkeit alles, was Lax benötigte, um sich von der Welt in dem Glauben verabschieden zu können, nach wie vor derjenige zu sein, der er vor so langer Zeit gewesen war. Und Arcadio respektierte auch seine Gewohnheiten.
Mit den Jahren und mit der Einsamkeit war aus Lax ein Mensch geworden, der keinen von außen auferlegten Pflichten folgte, sondern sein Leben nur nach seinen kuriosen Neigungen ausrichtete. Radio hören war eine davon. Amadeo Lax stand jeden Tag rechtzeitig genug auf, um in der Früh die Sendung mit Carlos Herrera zu hören. Ohne sich mit etwas anderem zu beschäftigen, lauschte er dem Radiomoderator mit professionellem Interesse, bis die Sendung zu Ende war. Oft berichtete er am Nachmittag Arcadio über die morgendliche Diskussionsrunde, als hätte das Gespräch in seinem eigenen Haus stattgefunden. Selbstredend äußerte er niemals Zweifel an Herreras Äußerungen oder Meinungen. Meist begann er sogar seine Sätze mit den Worten »Carlos Herrera hat auch gesagt, dass …«, vor allem wenn es um Politik ging, ein Gebiet, auf dem er in dem verehrten Journalisten einen Seelenbruder sah. Die Nachmittage verbrachte er zwischen Schlafphasen und Pläneschmieden. Wehmut überkam ihn nur beim Thema Kunst. Er wurde von Gefühlen übermannt, wenn er über Modest Urgell sprach, den er zwar nur ein halbes Dutzend Mal in seinem Leben getroffen hatte, aber den er nach wie vor für seinen Meister hielt, sowie bei Gesprächen über Romà Ribera und Francesc Masriera, deren Erfolg und Popularität zwar nicht an seine eigene Leistung heranreichten, aber die für ihn immer noch Giganten darstellten.
Lax zögerte nicht lange und schlug »Señor Pérez« vor – so seine Anrede für Arcadio –, sein persönlicher Sekretär zu werden. Es galt viele letzte Dinge zu regeln, und die Zeit lief ihm davon. Monatelang arbeiteten sie gemeinsam an Amadeos Vision, einem Museum, das niemals Wirklichkeit werden sollte. Und dann war die Zeit vorüber.
Die Totenwache für den Künstler brachte es mit sich, dass Arcadio Pérez und Modesto Lax zum ersten Mal miteinander sprachen. Violeta ging an der Hand ihres Vaters, aber sie hat nur schwache Erinnerungen daran, weil sie erst vier Jahre alt war. Sie kann sich weder an die verschiedenen Personen erinnern, die sich in dem Salon mit dem Kamin drängten, noch an die Reden, die gehalten wurden, und erst recht nicht an den Moment, als Amadeo Lax zum letzten Mal das Eingangsportal passierte. Es fehlte jegliches Zeichen von Bombast, das die prächtigen Abschiedsfeiern seiner Vorfahren geprägt hatte. Amadeos Beisetzung war traurig und förmlich. Die Mehrheit der Trauergäste hatte sich nur eingefunden, um auf den Fotos präsent zu sein, die die Presse am nächsten Tag veröffentlichte. Die im Flüsterton gehaltenen Gespräche kreisten um alle möglichen Themen, ohne großen Respekt vor dem Toten, und nur sehr wenige berührten dabei das Testament, das genauso exzentrisch war wie alles andere auch. Ein Mensch stirbt so, wie er gelebt hat: Lax ließ seine Angehörigen kalt, selbst nach seinem Tod, als sein Letzter Wille bekannt wurde. Seinem einzigen Sohn, Modesto, hinterließ er lediglich das, was von den heruntergewirtschafteten Familienunternehmen übrig war, sowie die relativ abgeschmolzenen Bankkonten. Von dem gewaltigen Vermögen der Familie Lax war nur noch ein Bruchteil übrig, schließlich wurde während des Bürgerkrieges vieles geraubt oder ging verloren. Arcadio erhielt einen Bargeldbetrag. Die kleine Violeta erbte die Wohnung in der Rambla de Catalunya, mitten im Stadtzentrum.
Was sein künstlerisches Werk anging, wusste Amadeo Lax seit einiger Zeit genau, was er wollte: Seine Privatsammlung, die aus Gemälden, Entwürfen und Skizzen bestand, vermachte er – ebenso wie seinen Wohnsitz mit dem gesamten Mobiliar – der Generalitat von Katalonien, allerdings unter der Bedingung, dass darin ein Museum eingerichtet wurde, das seinem künstlerischen Werk
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