Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
hole ihn.«
Der junge Mann geht die Treppe hinunter, wobei er den Staub aufwirbelt, der seit so langer Zeit auf den Stufen ruht.
»Die machen mich noch verrückt«, flüstert Arcadio.
Violeta pflichtet ihm mit einem kaum wahrnehmbaren Kopfnicken bei, während sie mit zusammengekniffenen Augen Teresa betrachtet.
»Das Fresko hat weniger Schäden, als ich befürchtet habe.«
»Die Überdachung, die dein Großvater hier errichten ließ, hat sich als äußerst stabil erwiesen. Kein Zeichen von Feuchtigkeit – sieh mal, das ist doch unglaublich.« Arcadio lächelt. »Er war immer sehr stolz auf diese Umbauarbeiten. Er hat oft darüber gesprochen.«
»Ich hätte den Patio gerne in seinem Originalzustand vorgefunden, so wie er auf dem Bild zu sehen ist, das Concha zeigt. Weißt du, welches ich meine?«
»Selbstverständlich.«
Violeta spricht über Concha wie über eine Bekannte. Dabei kennt sie nur diesen Moment, der wie eingefroren auf ihrem Porträt festgehalten ist. Violeta kann nicht wissen, dass Concha auch hier gewesen ist, in dem umgestalteten Patio. Zum ersten Mal, als dieser Ort schon ein anderer war. Die Frau, die in der Familie als Kinderfrau angestellt war, aber für die Señora Maria del Roser eher zu einer Freundin wurde, dieser Engel der Kindheit war damals schon sechsundsechzig Jahre alt. Sie trug noch diese langen Röcke, deren Säume den Staub vom Boden fegten, und einen leichten Schal, mit dem sie ihre weichen, üppigen Formen bedeckte. Ihr Haar hatte sie zu einem Knoten aufgesteckt. Sie öffnete die Glastür und verharrte betrachtend auf der Schwelle. Genau dort, ohne einen weiteren Schritt zu wagen, weinte sie wie ein kleines Mädchen. Dann schloss sie die Tür, tupfte sich die Augen trocken und ging.
Violetas Sprachlosigkeit erinnert an Conchas Sprachlosigkeit. Der Blick ihrer Großmutter strahlt etwas Beunruhigendes aus, das sich Violeta nicht erklären kann.
»Was ist eigentlich aus den Möbeln geworden? Und was ist mit den Büchern?«, fragt sie dann plötzlich.
»Aus der Zeit vor dem Krieg ist fast nichts übrig geblieben. Ich vermute, dass die ursprüngliche Einrichtung die Plünderungen nicht überstanden hat. Und was den Rest angeht – wer weiß, vielleicht haben diese Banausen den ja zum Müll gegeben, ohne genau hinzusehen. Wahrscheinlich hätte ich etwas nachdrücklicher sein müssen, aber irgendwann war ich es leid, sie auf den Wert der Sachen hinzuweisen. Du kennst sie ja, mit ihnen ist alles furchtbar anstrengend. Von Büchern weiß ich nichts. Ich kann mich nicht erinnern, die Male, die ich zu Lebzeiten deines Großvaters hier war, die Bibliothek betreten zu haben.«
»Das Wandgemälde an Ort und Stelle zu lassen, war das deren Idee?«
»Ich muss zugeben, ja. Einer der Sachverständigen schlug vor, dass Teresa über den zukünftigen Lesesaal präsidieren soll. Sie wollten dafür das Fresko während der Umbauarbeiten an der Wand lassen, aber da habe ich mich geweigert. Ich habe ihnen gesagt, sie könnten Beschädigungen durch die Handwerker nur vermeiden, wenn man es abnimmt und auf einen anderen Untergrund überträgt. Ich weiß immer noch nicht, wieso sie auf mich gehört haben. Anscheinend habe ich sie in einem schwachen Moment erwischt.«
»Wenigstens wird auf diese Weise die zukünftige Bibliothek etwas von dem Wesen meines Großvaters bewahren. Es ist das Mindeste, was sie tun konnten.«
Arcadio nickt bedächtig. Er wirkt erschöpft. Der Kampf gegen die Institutionen, in den er sechsunddreißig Jahre investiert hat, hat ihn schließlich zermürbt. Man muss anerkennen, dass Amadeo Lax richtig lag, als er sich für ihn entschied. Jemand anders hätte schon längst das Handtuch geworfen.
»Kennst du den Restaurator?«, will Violeta wissen.
Als hätten ihre Worte die Abwesenden gerufen, taucht in dem Moment auf dem Treppenabsatz der junge Beamte auf, der ein Leinwandbündel und mehrere Eimer trägt. Ihm folgt ein etwas grimmig blickender Mann in einem weißen Overall mit buntem Fleckenmuster. Er begrüßt Arcadio vertraut und reicht Violeta die Hand. Dann nähert er sich dem Wandgemälde und taxiert sorgfältig die Schäden. Ab und an gibt er rätselhafte Kommentare ab: »Dieser Bereich wirkt etwas mitgenommener.« Oder er streicht über die Wand und sagt: »Hier sieht es ziemlich unregelmäßig aus.«
Die Umstehenden beobachten ihn stumm, die einen aus Demut, die anderen aus Unwissenheit.
Nach der knappen Diagnose macht sich der Restaurator ohne weitere Zeit zu
Weitere Kostenlose Bücher