Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
sich in Paris ein, war eine enge Freundin von Alfonso XIII. und zeigte keinerlei Heiratsabsichten. Ihre Beiträge zu den Festivitäten ihrer Familie verliehen diesen einen distinguierten Touch, denn schließlich gelang es ihr, Persönlichkeiten wie Carlos Gardel, Igor Strawinski und andere bedeutende Künstler zu Auftritten in dem frisch gestrichenen Pavillon im Garten zu bewegen, denen zwischen den Rhododendronbüschen ein sorgsam ausgewähltes Publikum applaudierte – darunter General Primo de Rivera und sogar der König.
Bei dem täglichen Schaulaufen der Gesellschaft, die in diesen Jahren von der Calle Riera Alta in den neuen Paseo de Gracia gezogen war, spielte die Familie Brusés mit ihrem unübertroffenen, wenn auch flüchtigen Glanz eine Hauptrolle. Doch angesichts der ledigen Brusés-Schwestern – mit Ausnahme von Tatín – erschauderten die Heiratskandidaten allein bei dem beunruhigenden Gedanken, dass in den Adern dieser wunderschönen jungen Damen mit den goldenen Locken und der Porzellanhaut das Blut der despotischen Doña Silvia floss, über die ihre Eltern so viel und so Schreckliches berichteten. Dann fiel die Familie ins andere Extrem, und die drei mittleren Schwestern, die in der tristen postkolonialen Ära auf die Welt gekommen waren, heirateten blutjung, um die Skandale zu verhindern, in die das ausschweifende Leben sie reißen könnte. Sobald die falschen Gerüchte und giftigen Kommentare verstummten, erlebten die Familienmitglieder, die die Mädchen in letzter Zeit mit mehr Herz als Verstand großgezogen hatten, ihre wohlverdiente Freiheit.
Doch Amadeo lernte Teresa nicht bei einer der Promenaden der guten Gesellschaft kennen und auch nicht bei einer der Feiern, die sich für die Familie als so lohnend erwiesen. Amadeo Lax hasste lärmendes Vergnügen, zudem rühmte er sich, noch nie getanzt zu haben. Er lernte die junge Frau sehr viel früher, in deren eigenem Haus kennen, in einer Phase, die von allen als der »Schwanengesang der Stiefmutter« bezeichnet wurde, zumindest was die Ausgaben anging. Amadeo war der Erste, der mehr als überrascht war, als er den Auftrag erhielt, alle Mitglieder der Familie Brusés zu porträtieren. Die gefürchtete Generalin hatte bereits die Kosten für das Engagement eines Porträtmalers verdaut, und getreu ihrer Maxime »Wenn du etwas machst, dann mach es richtig« verpflichtete sie dafür den gefragtesten Künstler der Stadt, auch wenn sie ihrem Wesen treu blieb und bis zum Schluss dessen Honorar hinunterhandelte.
Doña Matilde stand dem Maler als erstes Familienmitglied Modell, mit ihren ehemals rotblonden Haaren, bleich wie ein Seeteufel, mit den Juwelen behängt, die sie bei den Premieren im Liceo anzulegen pflegte. Kaum war ihr Porträt beendet, begann sie zu sterben, wie ein jungfräulicher, apostolischer Dorian Gray. Dann kamen die Geschwister an die Reihe, vom Ältesten bis zur Jüngsten. Die jungen Männer posierten im Cut, Tatín in einem dunklen Kleid, das eher einem Trauergewand glich. Die Mädchen Luisa, María und Silvita trugen lange Kleider. Letztere erhielt von einer älteren Schwester als Leihgabe einen marineblauen Rock, in dem sie wie kostümiert aussah, wie eine junge Frau, die sie noch nicht war.
Teresa war zwölf Jahre alt, wirkte aber noch jünger. Lax porträtierte sie in einem kurzen, kniefreien Kleid. Das Mädchen stand dem Maler vier Tage lang Modell. Diese vier Tage waren eine Zeit der gegenseitigen Betrachtung. Sie war von seiner Eleganz, seiner Schweigsamkeit und seinem unerreichbaren Alter fasziniert – Lax war damals etwa dreißig Jahre alt. In der Tiefe seines Blickes meinte sie, ein Geheimnis versteckt zu sehen, und gelobte sich, nicht aufzugeben, bis sie es aufdeckte.
Als Amadeo Lax seinen Auftrag im Hause Brusés fertiggestellt hatte, ließ er dort das erste von insgesamt siebenunddreißig Porträts von Teresa zurück sowie das junge Modell, das sich nach ihm verzehrte.
Das Mädchen Teresa Brusés , 1919
Öl auf Leinwand, 180 × 70 cm
Barcelona, MNAC, Sammlung Amadeo Lax
Dieses Bild gehört zu Lax’ erster Phase als Porträtmaler der hohen Gesellschaft von Barcelona. Den Auftrag erhielt der Künstler von der Stiefmutter und Tante des Modells, und man geht davon aus, dass er während der Arbeit an dem Porträt die Person kennenlernte, die er neun Jahre später zu seiner Frau machte. Das Gemälde stellt das erste von insgesamt siebenunddreißig Porträts von Teresa Brusés dar, die Lax im Verlauf seines
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