Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
häuslich, äußerst häufig in der Kirche, äußerst großzügig bei ihren wohltätigen Aktivitäten. Ihr Leben spielte sich praktisch ausschließlich hinter verschlossenen Türen ab, so dass sie niemals auf die einzige schickliche Gelegenheit des Ausgehens verzichtet hätte. Deshalb gehörte sie regelmäßig zu den Spaziergängerinnen. Sie genoss ein so hohes Ansehen und sie hielt sich so pünktlich an ihre Promenadezeiten, dass es kaum einen Kavalier gab, der angesichts ihrer Kutsche nicht seine Schritte verlangsamte, um sie mit einer Verbeugung zu begrüßen, bevor er sich nach dem abwesenden Ehemann erkundigte.
Doña Silvia war sicherlich erst um die dreißig Jahre alt, aber sie war so altmodisch und konservativ, dass sie vor der Zeit gealtert war. Sie behandelte das Personal von oben herab, sie ging jeden Abend vor neun Uhr ins Bett und rühmte sich selbst, ein Dasein in Zurückgezogenheit und Ruhe zu führen, das jeglicher Leichtlebigkeit entbehrte. Sie las nur in der Bibel, und ihre einzige Gesellschaft stellte eine ledige Tante dar, die noch verbitterter war als sie, sowie ihre Kinder, die sie allerdings nur ansprach, um sie zu tadeln. Böse Zungen behaupteten, dass ihre Hausmädchen regelmäßig Selbstmord begingen und dass eine ihrer Köchinnen angesichts der fortwährenden Erniedrigungen ihren Kopf in einen Topf mit kochender Suppe gesteckt hatte. Manche gingen sogar noch weiter und zählten zu ihren Opfern auch ihren herzensguten Ehegatten, einen kleinen Mann, der so gutmütig war wie ein Schaf. Don Casimiro wäre vor seiner Heirat mit solch einer Inquisitorin niemals auf die Idee gekommen, Geschäfte in Übersee anzubahnen. Bald hieß es, nicht die Geschäfte hielten den Mann von seinem Zuhause fern, sondern die Furcht davor, bei seiner Rückkehr wieder dem eiskalten Blick seiner Frau ausgesetzt zu sein. Diese Leute meinten zudem, Don Casimiro verfüge in Kuba über ein ganzes Heer an fröhlichen und barbusigen Konkubinen, die nach Kaffee und Zuckerrohr dufteten und ihm all die Launen gewährten, die sich ein unglücklich verheirateter Mann nur wünschen kann.
Dennoch, nur selten führte ein Heimataufenthalt des Ehegatten nicht zu erneutem Nachwuchs, und auch diese Unfehlbarkeit und Beständigkeit des Ehepaares rief in der ganzen Stadt Bewunderung hervor. Mit dem Hin und Her hatten die Eheleute Brusés-Bessa, bevor die spanischen Kolonien in Amerika verlorengingen, insgesamt fünf Kinder in die Welt gesetzt, von denen drei noch lebten. Auch nach dem verlorenen Spanisch-Amerikanischen Krieg, sobald der ehrgeizige Geschäftsmann in anderen Ländern neue Plantagen errichtet und in den Vereinigten Staaten eine Reederei und in Argentinien einen Wollhandel aufgezogen hatte, zeugte Don Casimiro wieder und wieder pünktlich mit seiner angetrauten Gattin weitere sechs Kinder, von denen allerdings zwei das erste Lebensjahr nicht überstanden.
»Das sauertöpfische Gesicht hat die Arme von den vielen Geburten«, meinte Eutimia überzeugt.
Das letzte Kind war Teresa. Sie kam an einem Tag auf die Welt, der von Unheil überschattet war: am 10. Mai 1907, merkwürdigerweise am selben Tag wie der Erstgeborene des jungen spanischen Königs, der eine ganze Reihe scheußlicher Vornamen erhielt, die von dem Namen Alfonso angeführt wurde, dem Vornamen seines Vaters. Teresa und den kleinen Bourbonen einte also das tragische Stigma, das ihre Leben bestimmte. Mancher Monarchist hätte diese Koinzidenz zu schätzen gewusst, aber im Hause Brusés rief die Monarchie keine Begeisterungsstürme hervor, außer unter einigen Hausangestellten.
Das Unheil, das über Alfonso de Bourbon y Battenberg schwebte, dem Erstgeborenen des spanischen Königs Alfonso XIII., ist mehr als bekannt: Der Junge litt an Hämophilie und verbrachte über die Hälfte seines Lebens im Bett, wo ihn furchtbare Schmerzen plagten. Das Unheil, das Teresa betraf, ereignete sich hingegen eher diskret. Zwei Tage nach ihrer Geburt starb ihre Mutter im Wochenbett. Don Casimiro hielt sich, wie so oft, auf seinen Plantagen in Amerika auf und wurde schriftlich durch Doña Matilde von dem Todesfall unterrichtet, der frömmlerischen, verbitterten Tante, in deren Obhut die Kinder nun aufwuchsen. Bis der Witwer die traurige Nachricht erhielt und nach Hause zurückkehren konnte, war bereits ein halbes Jahr vergangen, und die Tante hatte sich dermaßen des Besitzes ihrer geliebten Nichte bemächtigt, dass der arme Millionär kaum einen Winkel fand, in den er sich
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