Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
Lebens ausführen sollte.
Besonders auffällig ist hier die Palette heller Farben – das Blau von Teresas Kleid und die Ockertöne für ihr blondes Haar – in Kombination mit ihrem ausdrucksstarken Gesicht, in dem der Künstler die Seele dieses gleichermaßen ruhelosen wie sanftmütigen Mädchens einfing, das ein großes Interesse an Lektüre und Bildung zeigte. Die Bedeutung, die Letzteres für die Jüngste der Geschwister Brusés einnahm, spiegelt das Buch wider, das sie auf ihrem Schoß hält. Dies ist nicht das einzige Porträt, in dem Amadeo Lax Teresas Liebe zu Büchern darstellt. Die Blume im Haar symbolisiert die Weiblichkeit, und die Katze, die auf ihrem Schoß schläft, steht für die kindliche Welt, die das Modell zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz verlassen hat. Man hat oft darauf verwiesen, dass sowohl Bücher wie Katzen beständige Attribute der wichtigsten Muse des Malers sind. Mit den Jahren erfuhren diese Motive zudem eine gewisse Entwicklung, die einige kunstgeschichtliche Untersuchungen analysiert haben.
Amadeo Lax. Der Porträtmaler (Ausstellungskatalog des Museo Thyssen-Bornemisza) , Madrid 2002
VI
Ein feines Ohr hätte das Ächzen der Leinwandstreifen wahrgenommen, die der Restaurator mit Leim auf dem Porträt der abwesenden Teresa angebracht hat. Sie trocknen langsam, in Unkenntnis ihrer Rolle, die sie in dieser Angelegenheit spielen, aber in Einklang mit der Umgebung. Trotz allem, die Zeit hat es im Patio des Hauses der Familie Lax niemals eilig.
Die Bauarbeiten an dem neuen Familienwohnsitz, dem Traum, den sich Don Rodolfo verwirklichte, gingen über etwa sieben Jahre, in deren letztem der Umzug ständig bedrohlich über der Familie dräute. Wer das neue Haus bereits gesehen hatte, erzählte wahre Wunderdinge davon. Eutimia war schon zwei Mal dort gewesen und berichtete den übrigen Dienstboten von dem neuen Haus mit seinen vier Stockwerken, den großen Fenstern, die zur Straße zeigten, und vor allem von der mit reichhaltigen und detailfreudigen Ornamenten gestalteten Beletage.
Das Haus glich also eher einem Palast, angefangen bei der Haupttreppe, die so imposant war, dass die Haushälterin bei der Beschreibung nur noch die Augen verdrehte und ihr die Worte fehlten. Schließlich führte sie ihre Hände zur Brust und umklammerte das Medaillon mit den Schnurrbarthaaren ihres Ehegatten, während sie die Weinranken und Weintrauben aus Marmor beschrieb, die ihr schier den Atem raubten. Laut Eutimia verteilten sich die Räume des Dienstbotentrakts zwischen dem Erdgeschoss und dem Untergeschoss. Man hatte besonders darauf geachtet, dass die Räume nicht zu eng waren und dass alle – »alle« betonte Eutimia – eine eigene Fensterluke hatten, durch die man zumindest in den Räumen, die zur Straße zeigten, die Füße der Passanten betrachten konnte. Die beiden Küchen lagen so weit weg vom Esszimmer, dass keine störenden Gerüche nach oben drangen, zudem waren sie gut zu lüften, recht geräumig und noch dazu mit einem modernen Lastenaufzug ausgestattet. Der eigentliche Küchenraum war so großzügig angelegt, dass zwei Bänke für jeweils sechs Leute hineinpassten, ein großer Tisch, ein gusseiserner Herd mit sehr vielen Unterteilungen (allein deren Emailüberzug bot einen schönen Anblick) und zwei riesige Eisschränke aus Holz. Der Ofen für die Bügelfrau befand sich in einem extra Raum, nur für sie. Das Beste aber hatte sich Eutimia für den Schluss aufgespart: In dem neuen Haus gab es drei getrennte Badezimmer, eines davon im Untergeschoss neben der Küche, mit einer Zinkbadewanne und einer Wanddusche. »Und dieses Badezimmer ist für uns«, stellte sie klar, falls das jemand nicht sofort verstand.
Zudem gab es eine absolute Neuheit, die alle so bald wie möglich besichtigen wollten, allerdings nicht in den dem Personal zugedachten Räumlichkeiten: einen Generator zur Erzeugung von elektrischem Licht. In dem alten Haus behalfen sie sich noch mit Gas- und Petroleumlampen, also konnten sich nur wenige der Hausangestellten vorstellen, wie das vor sich gehen sollte, allein durch ein Knipsen eines Schalters an der Wand eine Helligkeit wie aus einer anderen Welt zu erzeugen.
Die Elektrizität löste bei vielen Misstrauen aus, denn es kursierten fürchterliche Geschichten, zum Beispiel, dass in Italien Fußgänger, die Straßenbahnschienen betraten, auf der Stelle tot umfielen. Es gab Leute, die sich weigerten, unter einem eingeschalteten elektrischen Licht hindurchzugehen, oder,
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