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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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Familie Lax zur Jahrhundertwende gewesen war, erlebte sie das Haus in Ruhe. In ihren ersten Lebensjahren forderte man ihr nichts ab. Sie wuchs eigentlich ohne jegliche Pflichten auf und machte, worauf sie Lust hatte. Sie lebte praktisch in der Küche bei ihrer Mutter, auch wenn sie oft ihre Nase in die Garagen steckte, wo sie ihr Vater, wenn die Herrschaften nicht zugegen waren, in die Autos einsteigen ließ. Laias Lieblingswagen war der La Cuadra mit den zwei Lederbänken und den rotlackierten Speichen der Räder, der wie ein überdimensioniertes Spielzeug aussah. Den Rolls Royce fand sie etwas streng, sie hielt ihn für das passende Auto für Geschäftsreisen. Im Hispano Suiza spielte sie die Grande Dame, wie Doña Teresa, die wunderschöne neue Señora Lax. Sie träumte davon, dass auch ihr jemand Geschenke schickte, nur um sie aus einer Laune heraus zurückzuweisen. Oder noch besser: Sie träumte davon, die Geliebte eines bedeutenden Mannes zu sein – selbstverständlich eines verheirateten sowie äußerst vermögenden Mannes –, genau wie jene schlafende Frau, die sie eines Nachts auf der Rückbank entdeckte, als sie nicht einschlafen konnte.
    »Wer ist das?«, fragte sie ihren Vater.
    Julián saß schon hinter dem Steuer und wollte soeben losfahren. Er schnauzte seine Tochter wütend an. Deshalb hielt Laia die schlafende Frau für eine wichtige Person. Deshalb und weil ihr Vater sie auf der Stelle in ihr Zimmer zurückbrachte.
    »Wohin fährst du sie?«, fragte Laia weiter. »Ist sie betrunken?«
    »Das geht dich nichts an«, fuhr Julián sie an, ehe er die Tür ihres Zimmers schloss.
    Mit der Ankunft der neuen Señora Lax erwachte das Haus ein wenig zu neuem Leben. Die Familie nahm wieder das Mittagessen gemeinsam ein, nachmittags reichte man im Salon den Damen Tee mit Gebäck, die Bibliothek wurde zu einem der besonders frequentierten Räume, und selbst im Untergeschoss gab es ein neues Gesicht: Antonia, ein Hausmädchen mit pockennarbigem Gesicht, das vor nicht allzu langer Zeit noch Teresas Kinderfrau gewesen war. Antonia erhielt Eutimias Zimmer zugewiesen, denn nur wer die Haushälterin nicht gekannt hatte, konnte deren Raum entweihen, ohne sich vor ihrem Gespenst zu fürchten.
    Auf Teresas Geheiß hin machte sich Laia schließlich nützlich. Mit elf Jahren begann sie im Bügelzimmer zu helfen. Zunächst teilte man ihr kleinere Aufgaben zu, und ihre Mutter wies sie als Küchenhilfe in die kulinarischen Geheimnisse ein. Zu Laias Pflichten gehörte es, bei Mahlzeiten im Kreis der Familie die Speisen anzureichen. Die Schneiderin fertigte eine marineblaue Uniform mit Schürze und Häubchen für sie an, und in dieser Aufmachung begann das Mädchen, sich den Herrschaften und deren Gästen zu zeigen, mit den Silbertabletts voller Nudeln, Braten oder Fischgerichten. Laia trat beflissen in das Esszimmer und hielt beim Bedienen die korrekte Reihenfolge ein, damit sich jeder seine Portion nahm: zunächst die älteste Señora, dann die verheirateten, danach die unverheirateten Damen und schließlich die Herren, wieder angefangen bei dem ältesten, bis sie bei dem letzten Tischgast angelangt war. Für Laia war das Ganze ein Kinderspiel. Wenn keine Gäste eingeladen waren, begann sie mit der Matriarchin, mit Doña Maria del Roser, und Laia konnte angesichts deren Einfällen nur mit Müh und Not ein Lachen unterdrücken, obwohl ihre Mutter immer sagte, dass die Krankheit von Doña Maria del Roser ein Unheil sei. Einmal beobachtete Laia, wie die ältere Dame – von ihren Familienangehörigen unbemerkt – zwei Löffel Reis auf ihren Schoß schaufelte, während sie dem Mädchen verschmitzt zuzwinkerte. Ein anderes Mal entdeckte sie, wie die ehrwürdige Señora, als Teresa sich vom ersten Gang auftat, nacheinander sechs silberne Löffel in ihren Ärmel bugsierte. Seither inspizierte Concha immer zuallererst Maria del Rosers Gemächer, bevor sie mit dem Nachzählen der Bestecke begann. Nur Don Amadeo Lax flößte Laia Respekt ein. Wenn sie bei ihm ankam, betete sie jedes Mal darum, dass ihr nicht das Tablett hinunterfiel oder ihre Beine schwach wurden. Sie klammerte sich an das Silbergeschirr wie an eine Rettungsboje. Zunächst beachtete Don Amadeo sie nicht einmal. Laia fragte sich, ob der Señor sie überhaupt wahrnahm, bis sie ihn eines Tages hinter ihrem Rücken fragen hörte: »Wer ist denn das Gör?«
    »Das ist die Tochter von Vicenta und Julián«, berichtete Teresa. »Sie ist jetzt in dem Alter, in dem sie

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