Die Geister schweigen: Roman (German Edition)
Todesfall ereignet hat, verstehen Sie? Ich glaube, sie würden sich nicht konzentrieren können.«
Modesto zeigt sich verständnisvoll.
»Aber selbstverständlich, selbstverständlich. Beim Lesen darf man sich nicht ablenken lassen.«
»Ich habe hier ein Dokument, das ich Sie bitte zu unterzeichnen. Es handelt sich um einen Vertrag zwischen vier Parteien. Sie beide«, sagt er mit Blick auf Modesto und Violeta, »als Erben des Vorbesitzers, Don Arcadio Pérez in seiner Funktion als Bevollmächtigter und Testamentsvollstrecker des Künstlers, dessen Rechte nach wie vor Gültigkeit besitzen, und die Generalitat als Erbe und Verwalter des Vermächtnisses von Amadeo Lax. Alle Unterzeichner verpflichten sich darin, über das Auffinden der Leiche nebst sämtlichen Details absolutes Stillschweigen zu bewahren, sowohl was Veröffentlichungen in Artikeln oder Büchern als auch was private Äußerungen angeht, und zwar ab diesem Zeitpunkt bis zum Ablauf von fünfundzwanzig Jahren.«
Der junge Mann stellt seinen Beamtenkoffer wie ein kleines Tischchen vor sich. Modesto macht sich nicht einmal die Mühe, das Dokument zu lesen. Er greift in der Innentasche seines Samtjacketts nach dem silbernen Füllfederhalter und setzt seine Unterschrift an die Stelle, auf die der junge Mann zeigt. Dann sagt er: »Fertig.«
Violeta und Arcadio lesen misstrauisch den Vertrag. Wie um sie zu ermutigen, sagt der Beamte noch: »Wir können das Risiko nicht eingehen und diesen Punkt außer Acht lassen. Wir beabsichtigen, gewaltige Summen in das Gebäude hier zu investieren, und, ehrlich gesagt, ich glaube, die Diskretion dient dem Wohl von uns allen.«
Violeta flüstert: »Allen, außer Teresa.«
»Komm schon, Mädchen, lass uns endlich fertig werden«, protestiert Modesto. »Wenn du alles so ernst nimmst, verpasst du noch deinen Flieger.«
Violeta nickt. Ihr missfällt der Lauf der Dinge, und ihre Haltung zeigt das deutlich. Aber im Grunde genommen versteht sie, warum dieses Dokument Modesto so gefällt. Es bietet ihm weit mehr als ein pragmatisches Abkommen: die Möglichkeit, die Vergangenheit dort zu lassen, wo sie war. In einem Winkel, wo sie ihn nicht stören kann. Violeta begreift, dass sie in der Minderheit ist. Schließlich unterzeichnet sie an der angegebenen Stelle und geht schnell zu den Verabschiedungen über.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagt sie, »aber ich muss zum Flughafen, mein Flugzeug geht in zwei Stunden.«
Sie verabschiedet sich von ihrem Vater und von Arcadio mit zwei Küsschen auf die Wangen, dann reicht sie Paredes die Hand, widmet Amélie ein Lächeln und nickt den beiden anderen Männern zu. Bevor sie geht, sagt sie zu Arcadio: »Ich schreibe dir.«
Nachdem alle Förmlichkeiten erledigt und die letzten Gesprächsthemen erschöpft sind, verlassen Modesto und Amélie als Letzte die Szene. Sie bleiben in der Mitte des Raumes auf dem verdreckten Holzfußboden stehen, wo sie von der alten Besenkammer und den Flecken an der Wand bewacht werden. Sie blicken zur Glaskuppel hoch, die den ehemaligen Patio bedacht.
»Das ist ein schöner Ort für einen Lesesaal«, sagt Modesto. »Er verströmt so einen Frieden.«
Amélie stimmt selbstverständlich mit ihm überein. »Ist alles in Ordnung?«, fragt sie und rückt sein flaschengrünes Halstuch zurecht, ein Accessoire, das perfekt mit seiner Hose harmoniert.
Er greift bei seiner Antwort nach ihrer Hand. »Nicht ganz. Ich hasse es, zu heucheln.«
Amélie schenkt ihm einen zärtlichen Blick.
»Ach, Chérie, es ist nur noch für kurze Zeit. Wir erzählen es ihr, sobald sie aus Italien zurückkommt. Hab noch ein wenig Geduld. Heute war kein passender Moment dafür.« Amélie blickt zum großen Salon mit dem Kamin, wo die Stimmen der Besucher bereits nicht mehr zu hören sind. Sie verzieht ihr Gesicht zu einem kurzen Lächeln und drückt Modesto einen flüchtigen Kuss auf die Lippen.
Dann lässt sie seine Hand los und geht vor ihm hinaus, mit dem entschiedenen Schritt, den jede Assistentin beherrschen muss.
Auch ihre Stimmen verlieren sich nun jenseits des knarrenden Flures. Wir hören aufmerksam hin. Wir tun das gern. Inzwischen sind sie fast am unteren Treppenabsatz angelangt. Nun kommt der Moment, in dem eine liebenswerte Familientradition erneuert wird.
Jetzt, jetzt ist er da. Der dumpfe Schlag von einem Schuh, das nervöse Lachen. Der Abgang zum Schluss.
Modesto ist über das Weinblatt gestolpert.
Don Octavio Conde in seinem Büro in El Siglo , 1927
Öl auf Leinwand,
Weitere Kostenlose Bücher