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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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angesehen – du weißt ja, die übliche déformation professionnelle –, wenn in dem Moment nicht Silvanas Mutter gekommen wäre.
»Wie schön, Sie bei uns zu haben, Violeta«, begrüßte mich Fiorella noch herzlicher, als ich erwartet hatte.
Mir fiel sofort auf, wie sehr sich Mutter und Tochter gleichen, sogar darin, dass man ihnen ihr Alter nicht ansieht. Fiorella, so erfuhr ich später, ist schon etwas über siebzig, und ich schwöre dir, sie ist nach wie vor eine attraktive Frau. »Dabei erwischen Sie mich nicht einmal in einer guten Phase«, kokettierte sie nach meinem Kompliment.
Damit meinte sie den Tod ihrer Mutter. Ich nutzte die Gelegenheit, um ihr noch einmal persönlich mein Beileid auszusprechen, und bat sie, mich zu duzen. Ich kam mir vor wie eine Figur in einer Komödie von Oscar Wilde.
Zum Abendessen gab es gefüllte Forelle, und beide Frauen erklärten, dies sei ein typisches Gericht der Region. Fiorella hatte sie mir zu Ehren zubereitet. Wir unterhielten uns ausgiebig, bis wir um Mitternacht die Glocken des nahen Kirchturms schlagen hörten.
Ich war erstaunt, dass die Kinder nicht im Haus waren.
»Sie sind heute in Mailand, bei ihrer anderen Großmutter«, erklärte Silvana.
Während sie den Kaffee kochte, kam ihre Mutter zur Sache.
»Sollen wir jetzt über die Angelegenheit sprechen, wegen der ich dir geschrieben habe, oder willst du lieber bis morgen warten?«, fragte sie mich.
»Ehrlich gesagt, ich platze vor Neugierde«, war meine Antwort.
»Dann gib mir bitte die Papiere, die du in der obersten Schublade in der Anrichte findest. Und sei so lieb, reich mir auch noch meine Brille, bitte.«
Fiorella wischte sorgfältig die Brotkrumen zur Seite und breitete die Dokumente vor sich aus. Dann setzte sie ihre Brille auf, kniff die Augen ein wenig zusammen, so als wolle sie sich auf etwas konzentrieren, und hielt wieder inne. Sie setzte die Brille ab und sah mich an.
»Für mich ist ganz wichtig, dass du weißt, dass Silvana und ich entschlossen sind, den Letzten Willen meiner Mutter bis ins kleinste Detail umzusetzen. Und wir vertrauen darauf, dass du uns dabei hilfst.«
Ich verstand zwar noch nicht so recht, was sie damit meinte, aber ich nickte. Dann setzte sie die Brille wieder auf und fuhr fort: »Mamas Testament hielt für uns einige kuriose Überraschungen parat. Außer den Passagen, die wir mehr oder weniger kannten und bei denen es um das Hotel und die Konten geht, sprach der Notar noch von einer Zusatzverfügung, die an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Ich hatte noch nie davon gehört. Er überreichte uns einen Brief von meiner Mutter und einen Schlüsselbund. An dem Schlüsselbund war ein Zettel mit einer unbekannten Adresse, und zwar mit einer Kilometerangabe an der Via Borgonovo, also der Landstraße zwischen Nesso und dem Nachbardorf Cavagnola. Dort gibt es nichts außer Landschaft, und die Küste ist an der Stelle recht steil, niemand wohnt dort. Wir haben uns sehr darüber gewundert, nicht nur wegen der Lage an sich, sondern weil meine Mutter nie davon gesprochen hatte, dass wir dort Land besitzen. Sobald wir uns vom Notar verabschiedet hatten, beschlossen wir hinzufahren. Dort entdeckten wir mitten im Grünen eine Hütte aus Steinen und Lehmziegeln, die über der Steilküste thronte. Vermutlich war das mal eine kleine, verfallene Kapelle, die jemand umgebaut hat, als man so etwas noch ungestraft machen konnte. Wenn du willst, fahren wir dich gerne morgen Vormittag dorthin. Aber jetzt wäre es mir lieb, wenn du einen Blick auf das Testament und auf die Verfügung wirfst, von der ich dir gerade erzählt habe.«
Meine Gastgeberin ist eine Meisterin in Sachen Spannung. Das Testament bot das, was man von so einem Dokument erwartet: haufenweise Juristenrhetorik auf Italienisch. Aber die Frau, die es unterzeichnet hatte, trug einen spanischen Namen, was mich aufmerken ließ: Eulalia Montull Serrano.
Du kannst dir vorstellen, dass ich in der Nacht vor lauter Grübeln kaum geschlafen habe.
Am nächsten Morgen haben sie mich dann zu diesem Häuschen gebracht. Wer das einmal erbaut hat, wollte wirklich nichts mit dieser Welt zu tun haben. Das Dach war repariert, was auch die beiden Italienerinnen überrascht hatte. Denn das bedeutet, dass ihre Mutter sich darum gekümmert hat, die Hütte instandzuhalten, auch wenn sie selbst sich dort nie richtig aufgehalten hat.
»Ich denke, du wirst eine Riesenüberraschung erleben«, warnte mich Silvana, als wir dieses Sanktuarium betraten.
Denk bloß

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