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Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
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erschrocken.
    »Nichts«, lautet seine knappe Antwort, während er steif und so wortkarg, wie er den Rest seines Lebens verbringen wird, über die Schwelle kommt. »Nichts ist passiert, Conchita. Ich habe nur eine Entscheidung gefällt. Ist Vater zu Hause?«
    »Dein Vater wird heute erst spät nach Hause kommen. Ich glaube, er ist in einer Sitzung des Stadtrates.«
    Amadeo atmet tief durch. Anscheinend stellt ihn diese Auskunft zufrieden. Eine falsche Einschätzung oder seine ererbte Ungeschicklichkeit lassen ihn beim Hochgehen an der üblichen Stelle auf der Marmortreppe stolpern.
    »Zum Teufel mit dem, der dieses Marmorstück unbedingt hier anbringen musste!«, schnaubt er.
    Er hat nicht vor, irgendjemanden zu begrüßen, und steuert direkt sein Zimmer an. Ihm folgt die verängstigte Concha. Als sie am oberen Treppenabsatz ankommen, dreht sich Amadeo zu seinem häuslichen Engel um und sagt: »Richte meiner Mutter aus, dass ich nie wieder ins Internat zurückgehen werde. Und bitte, Concha, beschäme mich nicht mehr mit diesem lächerlichen Namen.«
Von: Valérie Rahal
Gesendet am: 22. März 2010
An: Violeta Lax
Betreff: Kreise der Erinnerung

Liebe Violeta,

ich bin nach wie vor in Sorge. So sehr du mir auch weismachen willst, dass all die Ereignisse um dich herum gar nicht so verrückt sind, wie ich sie mir vorstelle, mich kannst du damit nicht überzeugen. Ich weiß einfach, dass du früher oder später die Verrücktheit begehen wirst, die ich befürchte. Denn deshalb bist du doch nach Barcelona geflogen, oder? Du schreibst, um eine Geschichte abzuschließen, von der ich keine Ahnung habe.
Damit du es nur weißt, das Begräbnis deiner Großmutter siebzig Jahre nach ihrem Tod ist für mich ohnehin der absolute Irrsinn.
Von allem, was du in deiner letzten Mail schreibst, interessiert mich am meisten diese Keksdose voller Zeitungsausschnitte. Ich würde alles darum geben, sie einmal selbst zu sehen. Wie aufregend, plötzlich hält man eine andere Epoche in Händen. Die Zeichnungen, von denen du schreibt, können natürlich von jedem der Kinder der Familie sein: von Violeta, von Juan oder von deinem Großvater. Sie könnten sogar von deinem Vater stammen. Wenn ich mich nicht irre, hat er die Kinderfrau auch kennengelernt. Aber ich fürchte, wenn kein Name darauf steht, lassen sie sich jetzt unmöglich zuordnen. Also noch ein Rätsel für die Liste. Wenn du diese Reliquie mit nach Hause bringst (vorausgesetzt natürlich, du kommst überhaupt nach Hause zurück), würde ich mir gerne den Inhalt ansehen – die Postkarten, die Zeitungsartikel, die Fotos und alles andere. Mich interessiert vor allem der Artikel aus dieser Spiritistenzeitschrift, aus dem hervorgeht, dass Teresa noch vor dem Bürgerkrieg an einer Gedenkfeier zu Ehren ihrer Schwiegermutter teilnimmt. Wenn ich mich nicht täusche, ist das eine Facette von ihr, die wir bislang nicht gekannt haben, oder? Bei Maria del Roser schon, aber nicht bei Teresa.
Dabei muss ich an all die unveröffentlichten Erinnerungen denken, die in den Zeitungsarchiven in der ganzen Welt schlummern. Hast du schon einmal darüber nachgedacht? Bestimmt. Mich erschreckt einfach der Gedanke, dass diese Geheimnisse erst zwei Generationen alt sind, aber dass wir sie völlig vergessen haben, falls wir überhaupt von ihnen wussten. Wenn irgendwann einmal der Klatsch und Tratsch aus allen Familien bekannt wird, müsste die Geschichte wohl umgeschrieben werden.
Was das Vermächtnis von Eulalia Montull betrifft, kann ich deine Grübelei durchaus nachvollziehen. Mich hat diese Geschichte auch überrascht. Ich habe nachgerechnet und mich gefragt, wie jemand neun Jahre verschwinden und dann einfach sein altes Leben weiterführen kann. Wenn das stimmt, was die Italienerinnen erzählt haben – und ich sehe keinen Grund, ihnen nicht zu glauben –, kam dein Großvater im Sommer 1936 an den Comer See und reiste erst nach Ende des Zweiten Weltkriegs wieder ab, im September 1945. Ich glaube, wir müssen den Krieg als mitbestimmenden Faktor durchaus in Betracht ziehen. Vielleicht ist dein Großvater ja deshalb länger als beabsichtigt in Italien geblieben. Ich halte es mit Arcadio, ich denke, der Grund für seinen Aufenthalt am Comer See war eher pragmatischer als romantischer Natur. Aber anders als er glaube ich nicht an Verschwörungstheorien, um Amadeo Lax’ Renommee zu beschmutzen, oder an andere Spinnereien. Der arme Arcadio hat einfach zu viele Jahre seines Lebens in die Bewunderung des

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