Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Die Geister schweigen: Roman (German Edition)

Titel: Die Geister schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Care Santos
Vom Netzwerk:
großen Malers investiert, und jetzt verliert er jegliche Perspektive. Er begreift einfach nicht, dass sich heutzutage niemand um die Reputation deines Großvaters schert.
Alles andere überrascht mich absolut nicht. Ich fürchte, meine Liebe, wenn man wirklich aus der Welt verschwinden will, muss man es nur wollen. Aber mich interessiert, warum Eulalia ihr Erbe inklusive dieser Bedingungen so perfekt geregelt hat. Ich finde es beachtenswert, wie jemand vor seinem Tod noch solche Strategien aushecken kann. Es ist, als würde man der Nachwelt ein Rätsel vermachen.
Du hast mich ja darum gebeten, also kommen wir auf deinen Vater zu sprechen und auf seinen Anteil an der Familiengeschichte. Wie du dir vorstellen kannst, gibt es da recht wenig. Du wirst es nicht glauben, aber er selbst hat tatsächlich nie mit mir über das Wiedersehen mit seinem Vater gesprochen. Modesto war damals immerhin zwölf Jahre alt, also kann er sich durchaus daran erinnern, aber er will einfach nicht darüber reden. Und ich denke, wir sollten – du solltest – das respektieren, bestimmt hat er dafür seine Gründe. Das ist schließlich etwas, was ich vor Jahren von ihm gelernt habe: Er hat stets seine Gründe, auch wenn er sie hinter dieser nervigen Maske der Gleichgültigkeit verbirgt.
Die Männer in deiner Familie fühlten sich immer zu Höherem berufen. Häusliche Angelegenheiten stellten für sie eine zu lästige Bürde dar. Mein Gefühl sagt mir, dass Modesto darin seinem Vater und auch seinem Großvater ähnelt. Alle sind irgendwie geflüchtet und haben sich aufgemacht, ihr Schicksal zu erfüllen – egal ob sie nun zu einem erfolgreichen Bauunternehmer, einem großartigen Maler oder dem besten Brecht-Spezialisten der Zeit wurden. Ich finde es also gar nicht so abwegig, dass dein Großvater nach Italien gezogen ist und dort Frauenakte gemalt hat, nachdem er seinen Sohn bei einer Cousine in Avignon gelassen hat. Amadeo hatte großes Glück, dass er auf Alexia und ihren Mann zählen konnte, die deinen Vater als das Kind betrachtet haben, das sie selbst nie bekommen konnten. Auch Modesto hat die beiden wirklich geliebt, und zwar mit Fug und Recht. Alexia hat mir einmal erzählt, dass während der ganzen Zeit, in der Modesto bei ihnen lebte, Amadeo Lax ihnen jedes Jahr eine stattliche Anweisung schickte und dass sie mit diesem Betrag ein gutes Auskommen hatten und dem Jungen sehr viel bieten konnten. Doch dein Großvater sagte ihnen nie, wann er wieder nach Spanien zurückkehren wollte, dabei wussten alle, dass er dies früher oder später tun würde.
Und genau das traf auch ein: Eines Tages hörten sie auf dem Weg, der zu ihrem Haus führte, ein Motorengeräusch. Eine Wagentür wurde zugeschlagen, und das Motorengeräusch entfernte sich schließlich wieder. Dann erschien auf einmal Amadeo Lax im Garten, mit dem Mantel über den Schultern und dem Hut in der Hand. Es war heiß, aber er hatte diese elegante Erscheinung, die so typisch für die Lax’ ist. Er sagte ihnen, dass er Modesto abholen und mit nach Barcelona nehmen wollte, aber dein Vater weigerte sich. Er bekam einen seinem damaligen Alter entsprechenden Wutanfall, aber Amadeo gelang es schließlich, ihn zur Vernunft zu bringen, und er redete mit ihm im Wohnzimmer unter vier Augen. Sie führten ein langes Gespräch. Schließlich einigten sie sich darauf, dass Modesto bei Alexia und ihrem Mann blieb, sofern diese nichts dagegen hatten. Amadeo sicherte ihnen zu, dass er die jährliche Überweisung fortsetzen und sie sogar sobald wie möglich erhöhen würde. Und er hat sein Wort gehalten. Amadeo blieb an dem Tag noch zum Mittagessen und fuhr dann wieder ab. Er kam nie wieder dorthin, und Modesto hat ihn, bis ich in sein Leben trat, nur noch zwei Mal getroffen. Diese Vater-Sohn-Beziehung ist zugegebenermaßen ein wenig außergewöhnlich, aber die beiden haben sich dafür entschieden. Wie immer haben die beiden erreicht, was sie wollten.
Ich selbst bewahre an Amadeo Lax, meinen abwesenden Schwiegervater, recht unspektakuläre Erinnerungen. Ich habe ihn in Barcelona kennengelernt, als dein Vater mich in dieses Stadtpalais mitnahm. Der Besuch schien einem kuriosen Protokoll zu unterliegen. Wir alle waren im Grunde genommen etwas steif und förmlich und hatten uns eigentlich nicht viel zu sagen. Das Haus bot eine abscheuliche Kulisse, aus der man nur noch die Flucht antreten konnte. Schon die Tatsache, dass Amadeo in diesem verdreckten und vernachlässigten Haus allein seinem Schicksal

Weitere Kostenlose Bücher