Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
Nase und erinnerte mich kurz an vergangene Zeiten, ehe er wieder verflog. Man konnte beinahe hören, wie der Staub sich in den Ecken sammelte.
Dennoch war es an diesem Tag angenehmer, hier drinnen zu arbeiten als im Freien, munterte ich mich auf. Die Sommersonne hatte sich vorübergehend verabschiedet, und ein grauer, melancholischer Himmel war an ihre Stelle getreten, begleitet von dem starken, unablässigen Wind, den ich inzwischen als charakteristisch für diesen Landstrich betrachtete. Ich beneidete David und Peter nicht, die in dem unbarmherzigen Wind in der Erde herumkratzten, und der arme Adrian war schon mehrmals unter Flüchen auf das Wetter hereingestürmt, weil eine Bö wieder mal eines seiner Geräte umgeworfen hatte.
Die Studenten schienen sich nicht zu beklagen und schufteten unverdrossen weiter. Sie hingen wie Kletten am Feldhang und arbeiteten mit tief gesenkten Köpfen in Gruppen an den ausgegrabenen Bodenabschnitten.
Im Fundstückelager hatte ich es wenigstens warm und trocken und mußte nur den unangenehmen Luftzug vermeiden, der wie eine Kältesäule in der Nähe der offenen Tür zu spüren war – eine Folge des starken Windes, ohne Zweifel. Doch es war nicht schwer, ihm aus dem Weg zu gehen.
Ich hatte mich gerade mit Eimer und Schwamm vor ein Regal gehockt, um die unteren Bretter in Angriff zu nehmen, als eine meiner Assistentinnen den Kopf zur Tür hereinsteckte. »Ich dachte, Sie könnten eine Tasse Tee vertragen«, sagte sie freundlich und hielt einen dampfenden Becher in die Höhe.
»Ganz wunderbar. Vielen Dank.«
»Ich stelle ihn einfach hier ab, ja?« Sie setzte den Becher am Ende des langen Arbeitstisches ab und blieb noch einen Moment zögernd in der Tür stehen. »Sollen wir das nicht für Sie machen, Miss Grey?«
»Warum sollten nur Sie sich amüsieren dürfen?« fragte ich zurück. »Außerdem sind Sie viel schneller am Computer als ich, also ist es sinnvoller, daß Sie mit dem weitermachen, was Sie gerade tun.«
»Wenn Sie meinen …«
»Frieren Sie sich denn nicht zu Tode dort in diesem Zug?« fragte ich und klang zu meiner Bestürzung wie meine eigene Mutter.
Die junge Frau runzelte die Stirn. »Welcher Zug?«
»Der, in dem Sie stehen.«
»Ich spüre gar nichts.«
»Tja, Sie sind eben aus härterem Holz geschnitzt hier oben in Schottland.«
»Ich bin aus Yorkshire, Miss Grey.«
»Noch besser«, sagte ich. »Und ich bin hier völlig zufrieden – Sie müssen nicht so schuldbewußt dreinsehen. Ich liebe Saubermachen.« Was natürlich eine krasse Lüge war, aber sie brachte die junge Frau dazu, sich von der Tür zu entfernen.
Als ihre Schritte verklungen waren, warf ich den Schwamm in den Eimer zu meinen Füßen, stand auf und ging summend hinüber zum Tisch, um meinen Tee zu holen.
Die Kältesäule hatte sich bewegt.
Ich war bereits durch sie hindurchgegangen, als mir auffiel, daß die Stelle, an der sie sich jetzt befand, vor zehn Minuten noch ganz warm und zugfrei gewesen war.
So ein Unsinn, schalt ich mich selbst. Ein Luftzug folgt einem nicht durch den Raum …
»Mein Gott«, hauchte ich, als mir plötzlich ein Licht aufging. Mein Herz machte einen Satz und schlug mir bis zum Hals, als ich herumwirbelte, um auf die scheinbar leere Stelle hinter mir zu starren. Ich streckte eine zitternde Hand aus, ich mußte es tun, obwohl ich es nicht wollte … und berührte nichts als warme Luft. Mein Nacken kribbelte, und ich fuhr mit ausgestreckter Hand wieder herum und spürte die Kälte.
Hastig trat ich einen Schritt zurück, bevor ich erkannte, wie vergeblich das war. Wenn mir vor drei Monaten jemand gesagt hätte, daß ich einem Geist gegenüberstehen würde, hätte ich lauthals gelacht, doch jetzt hatte ich keinen Zweifel, daß er hier war, direkt vor mir, und vielleicht versuchte, mich zu berühren, versuchte, mit mir zu sprechen …
Das muß aufhören , schrie es stumm in meinem Kopf. Ich kann so nicht weitermachen, es muß aufhören .
»Ich kann nicht«, sagte ich laut mit einer heiseren Stimme, die ich kaum als meine eigene erkannte. Ich schloß die Augen bei dem Versuch, mich zu konzentrieren, und stammelte die Worte dann auf latein heraus: »Ich kann dich nicht hören. Es tut mir leid. Ich kann dich weder hören noch sehen – nur der Junge kann das, und ich kann ihn nicht um Hilfe bitten, weil es ihm schadet. Verstehst du?«
Nur Stille antwortete mir. Ich schlang die Arme um mich, um das Zittern zu vertreiben, und meine Stimme wurde zu einem flehenden
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