Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
sehen würde, wäre es vielleicht etwas anderes …«
»Es gibt noch etwas Besseres als eine Zeichnung. Ich könnte mit dir nach London fahren und dir die Ermine Street Guard zeigen.«
»Die was?«
»Eine Theatergruppe in historischen römischen Kostümen. Ihre Reiter sind großartig, voll ausstaffiert mit Waffen und originalgetreu nachgebildeten Sätteln und Geschirren. Wenn diese Burschen auf einen zugaloppieren und all diese silbernen phalerae in der Sonne blitzen, kann man sich vorstellen, wie sich die alten Britannier gefühlt haben müssen.«
»Danke, ich glaub es dir auch so«, entgegnete sie. »Von Römern niedergeritten zu werden ist nicht unbedingt das, was ich mir unter einem unterhaltsamen Nachmittag vorstelle.«
»Es ist sogar sehr unterhaltsam.«
»Hatten denn die Britannier keine Pferde, um gegen die Römer zu kämpfen?«
»Streitwagen.«
Sie sah mich erstaunt über den Rand ihres Bechers hinweg an. »Streitwagen? Etwa wie in Ben Hur ?«
»Hast du in der Schule nichts von Boudicca gehört?«
»Wahrscheinlich schon.«
»Sie war die Königin der Ikener«, führte ich lächelnd aus. »Eine sehr kriegerische Frau, die auch unsere Neunte Legion überrollt hat.«
»Ach ja. Peter hat sie mal erwähnt, glaube ich.«
»Also, wenn du das nächste Mal nach London kommst, solltest du einen kleinen Ausflug zur Westminster Bridge machen, zu der Seite gegenüber den Houses of Parliament. An dieser Ecke steht eine unübersehbare Statue von Königin Boudicca, wie sie auf ihrem Streitwagen in den Kampf stürmt.«
Fabia hielt Streitwagen offenbar nicht für das geeignete Transportmittel auf britischem Grund und Boden. »Die müssen ganz schön durchgeschüttelt worden sein, wenn sie mit ihren Wagen über dieses Gelände ratterten.«
Ich stimmte ihr zu. »Aber irgendwie sind sie damit zurechtgekommen. Selbst die Kaledonier – das ist der Stamm, der nördlich von hier, oben in den Highlands, lebte, hatten dem römischen Geschichtsschreiber Tacitus zufolge schon Streitwagen.«
Sie runzelte die Stirn. »Gab es denn damals hier in Schottland Stämme? Das wußte ich nicht. Ich dachte, sie wären eine einzige große Gruppe gewesen.«
»Nein, sie waren ziemlich zerspalten. Der Stamm, der hier im östlichen Grenzland lebte, hieß … o Gott, sag nicht, daß ich ihn vergessen habe, ich konnte sie einmal alle auswendig …« Ich preßte eine Hand an die Schläfe und versuchte, den Namen meinem überfüllten Gedächtnis zu entreißen. »Es waren die Votadini, glaube ich. Ich weiß leider nicht allzu viel über sie, aber das geht allen so. Die Römer haben sich nicht besonders um diesen Teil Schottlands gekümmert, weshalb die meisten Historiker davon ausgehen, daß die Votadini ein friedliches Volk waren und nicht viel Ärger machten.«
Fabia zuckte die Achseln. »Oder sie waren besonders bösartig.« Sie nahm einen Schluck Kakao und bewegte ihn im Mund herum. »Aber die Römer hatten es ja auch nicht anders verdient.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, sie waren schließlich Eindringlinge, oder? Man kann nicht einfach hergehen und das Leben von anderen Menschen zerstören, ohne daß man dafür irgendwie bestraft wird.«
Nur eine Zwanzigjährige, dachte ich, konnte die Geschichte so säuberlich in Schwarz und Weiß, Helden und Bösewichte einteilen. Es stimmte natürlich, daß die Römer für die Votadini Eindringlinge, Fremde gewesen waren, die kein Recht hatten, ihr Land zu besetzen. Andererseits lebten zur damaligen Zeit Römer schon seit achtzig Jahren in Britannien – mindestens zwei Generationen waren in diesem Land aufgewachsen und betrachteten es als ihre Heimat.
Ich hob an, Fabia zu erklären, daß geschichtliche Entwicklungen manchmal etwas komplizierter waren, als es zuerst den Anschein haben mochte, aber sie war nicht in der Stimmung, sich meine Einwände anzuhören.
»Da ist überhaupt nichts Kompliziertes dabei«, unterbrach sie mich in entschiedenem Ton. »Es handelt sich um Gerechtigkeit, ganz schlicht und einfach. Auge um Auge, Zahn um Zahn. Nimm zum Beispiel Robbies Wächter. Er kam hierher, um die Votadini zu töten, stimmt’s? Also war es ihr gutes Recht, ihn ebenfalls zu töten.«
Gegen jugendliche Logik kam man mit behutsamen Argumenten einfach nicht an, dachte ich resigniert.
»Na ja, sie haben jedenfalls keine besonders gründliche Arbeit geleistet«, meinte ich schließlich nur, »wenn er immer noch auf dem Feld umgeht.«
Das war als Scherz gedacht, aber Fabia befand sich immer
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