Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
können zehn Minuten mit dem Jungen reden. Aber nur zehn Minuten,verstanden? Ich werde auf die Uhr sehen.«
»Danke.«
Er stapfte durch einen Unkrauthaufen, lehnte die Harke gegen die Hauswand und ging um die Ecke herum zur Küchentür.
Es war seltsam, die Küche zu betreten, wenn Jeannie nicht da war – der gemütliche kleine Raum wirkte viel weniger einladend, aber das konnte auch am trüben Wetter liegen. Brian streifte seine Stiefel ab und rief nach Robbie.
»Wally ist mit dem Hund draußen, stimmt’s?« vermutete ich, als ich Kips Stammplatz unter dem Tisch verlassen sah.
Brians Mund verzog sich zur Andeutung eines Lächelns. »Stimmt. Er macht sich rar, wenn ich zu Hause bin.«
Robbie kam hereingehüpft und begrüßte mich überschwenglich. »Hey«, sagte er. »Streitet ihr euch noch, du und Dad?«
Ich lächelte. »Nein.«
»Gut. Haben Sie Dads blaues Auge gesehen?«
»Na, und ob.«
»Sie war sehr beeindruckt«, erzählte Brian seinem Sohn. »Jetzt setz dich hier auf diesen Stuhl, Miss Grey will dir etwas zeigen.«
Robbie kletterte gehorsam auf den Stuhl und bereitete sich auf unser kleines Spiel vor. »Haben Sie die Halskette gefunden?«
Ich hielt mitten im Auspacken inne und starrte ihn an. »Die was?«
»Die Halskette des Wächters.«
Brian, der an der Küchenzeile lehnte und sich noch eine Zigarette anzündete, zeigte mir ein stolzes Vaterlächeln, während ich die letzte Schicht Papier entfernte und Robbie wortlos den goldenen Anhänger mit dem Rest der Kette reichte.
»Ja, das ist sie«, sagte er und nickte. »Hab ich mir gedacht.«
Ich räusperte mich unauffällig. »Bist du sicher, daß sie dem Wächter gehört?«
Wieder nickte er, ohne zu zögern. »Er trägt sie immer.«
»Verstehe.«
»Er legt sie nie ab, weil sie ihr gehörte, wissen Sie.«
Ich spürte das plötzliche Bedürfnis, mich auf etwas Handfestes konzentrieren zu können, und öffnete mein Notizbuch. »Wem gehörte sie?«
Brian mischte sich ein. »Kannst du ihren Namen erkennen, Junge?« An mich gewandt erklärte er: »Er kann manchmal Namen und alles mögliche sehen.«
Robbie betastete den Anhänger und sah angestrengt drein, während er versuchte, die Antwort zu finden. »Er beginnt mit einem ›C‹, glaube ich. C-l … ah, ich kann ihn aufschreiben.« Er nahm meinen Bleistift und malte große Buchstaben in mein Notizbuch.
Ich las den Namen. »Claudia?«
»Genau.«
Brian schnippte seine Asche in das Spülbecken, wo sie leise zischend auftraf. »Und der Name des Wächters, Robbie? Kennst du den auch?«
»Es ist ein langer Name«, sagte Robbie. »Moment.« Er schloß die Augen und sagte lange gar nichts. »Es sind drei Namen. Der mittlere ist ähnlich wie ihrer …«
»Claudius vielleicht?« fragte ich, und er öffnete die Augen.
»Ja. Und dann kommt Maxi … Maximus …«
»Claudius Maximus.« Mit erstaunlich ruhiger Hand schrieb ich den Namen auf. »Und der erste Name?«
»Er beginnt auch mit einem ›C‹. Es ist … nein, ich kann ihn nicht sehen. Er ist weg. Tut mir leid.«
»Es braucht dir nicht leid zu tun«, antwortete ich. »Du machst das großartig, ganz ausgezeichnet.« Ich sah auf den Namen in meinem Noitzbuch. C. Claudius Maximus . Nicht länger ein nebulöser Geist, sondern ein Mensch mit einem Namen. Es war ein seltsames Gefühl.
»Claudia und Claudius«, bemerkte Brian sarkastisch. »Wohl ein Traumpaar, was?«
Sie konnte nicht seine Frau gewesen sein, dachte ich. Jedenfalls nicht seine rechtmäßige Gattin. Ein Legionär durfte nicht heiraten, solange er in der Armee war. Inoffizielle Ehen waren jedoch keine Seltenheit – manche Soldaten hatten ganze Familien in den Dörfern vor ihren befestigten Lagern.
Ich wollte Robbie gerade fragen, ob Claudia die Freundin des Wächters gewesen sei, als mir ein neuer Gedanke kam. Claudia und Claudius. Claudius war der zweite Name des Wächters, hatte Robbie gesagt. Also sein Sippenname. Die Römer benannten ihre Kinder nach einem bestimmten System: Zuerst kam ein individueller Vorname, dann der Sippenname und dann der Familienname. Daher variierten in einer Familie nur die ersten Vornamen. C. Claudius Maximus – nehmen wir an, sein Vorname wäre Caius gewesen – hätte zum Beispiel einen Bruder namens Publius Claudius Maximus haben können. Doch die Schwestern wurden oft nur bei der weiblichen Form des Sippennamens gerufen. Claudia .
»War Claudia … war sie mit dem Wächter verwandt?«
Robbie schien verwirrt. »Verwandt?«
»Gehörten
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