Die Geister von Rosehill: Roman (German Edition)
Ein Windstoß rüttelte an den Fensterscheiben, und Robbie, dessen Tränen schon wieder getrocknet und vergessen waren, sah zu seinem Vater auf. »Wen schreist du denn so an, Dad?«
Brian atmete tief durch. »Niemanden, Robbie. Ich hab nur einfach so geschrien.«
»Oh.«
»Gib Miss Grey jetzt die Kette zurück, sei ein braver Junge.«
Robbie reichte mir seelenruhig den Anhänger, den ich mit zitternden Fingern entgegennahm. »Danke.« Meine Hand schloß sich einen Augenblick lang um das kleine geprägte Bild Fortunas, um den Glücksbringer, den ein Geist mir hatte zukommen lassen. Zu meinem Schutz. Und jetzt hatte er mir durch Robbie noch eine Warnung übermittelt: Via est periculosa – der Weg ist gefährlich.
Neben mir flammte ein Streichholz auf. Brian zündete sich eine weitere Zigarette an, und unsere Blicke begegneten sich stumm über Robbies Kopf hinweg.
» Via est periculosa ?« Peter wiederholte die Worte langsam und bedächtig. »Das hat er tatsächlich gesagt?«
»Ja.« Ich lehnte mich auf dem Sofa zurück und kraulte die Ohren der grauen Katze, froh, wieder in dem gemütlich unaufgeräumten Wohnzimmer auf Rosehill zu sitzen, wo Adrian und Fabia sich rechts und links von mir in ihren Sesseln lümmelten und Drinks in den Händen hielten. Ich selbst hatte meinen trockenen Sherry dringend nötig gehabt, und mein Glas war schon halb leer, obwohl ich erst vor einer Viertelstunde gekommen war.
»Wie merkwürdig«, sagte Peter. Er saß wie üblich in seinem Stammsessel, Murphy über seine Knie gebreitet. »Ich möchte wissen, was er damit gemeint hat.«
»Mensch!« sagte Adrian, streckte seine Beine aus und lehnte den Kopf zurück. »Gehen wir das noch einmal durch. Er läßt dich also ein Medaillon mit dem Bildnis Fortunas finden und teilt dir dann mit: ›Dieser Weg ist gefährlich‹. Ich frage mich nur, ob er dich nicht vor einer bestimmten Person warnen will?«
Ich bedachte ihn mit einem entnervten Seitenblick. »Mußt du immer alles lächerlich machen?«
Fabia sah ebenfalls unwillig drein. »Davy ist nicht gefährlich.«
Adrian ließ die Flüssigkeit im Glas kreisen und entgegnete würdevoll, dies hinge ganz und gar vom jeweiligen Standpunkt ab.
Fabia betrachtete Adrian betont lange und kritisch und hob dann ebenfalls ihr Glas. »Deine Augen sind ziemlich grün, nicht wahr? Grün wie der Neid.«
»Wenn du meinst.« Sie maßen sich einen Moment lang mit Blicken, bis Fabia abrupt wegsah.
» Via est periculosa «, murmelte Peter wieder gedankenverloren. »Aber via kann mehrere Bedeutungen haben, nicht wahr? Es kann ›Straße‹, ›Weg‹ oder ›Methode‹ heißen.«
»›Die Straße ist gefährlich‹?« testete Fabia die erste Möglichkeit. »Das klingt eher wie eine Warnung vor deinen Fahrkünsten, Adrian.«
»Sehr komisch.«
Sie rollte sich in ihrem Sessel zusammen wie eine der Katzen. »Wo steckt Davy eigentlich?«
Adrian zuckte die Achseln. »Spielt immer noch den Oberpfadfinder, draußen auf dem Feld. Er wird schon hereinkommen, wenn er genug davon hat.«
Draußen auf dem Feld …
Ich schloß für einen Moment die Augen und kämpfte gegen eine Vision an, die mich plötzlich überkam – die Vision eines einzelnen römischen Soldaten, der in alle Ewigkeit durch das windgebeugte Gras marschierte, ungehört und ungesehen, und nur die schweigenden Toten zur Gesellschaft hatte. Wie einsam er sein mußte … wie furchtbar einsam. Ich versuchte, das Bild zu vertreiben, aber der Soldat wollte nicht verschwinden. Er schritt weiter und ließ seinen Blick über das Feld schweifen, er glaubte, seine Schwester zu sehen, die dort stand und auf ihn wartete, aber sie war es nicht, es war nicht Claudia. Eine junge Frau mit langem Haar, aber nicht Claudia. Sie sah ihr nur ähnlich genug, um Erinnerungen zu wecken. Konnten Geister sich erinnern? fragte ich mich. Konnten sie lieben?
Ich schlug die Augen auf und erkannte an dem träumerischen Ausdruck auf Peters Gesicht, daß ihm ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen.
»Erstaunlich«, lautete sein abschließender Kommentar. »Ganz erstaunlich.«
»Allerdings.« Adrian musterte mich träge. »Brian hat dich danach wohl aus seinem Haus verbannt, nehme ich an?«
»Nein, keineswegs. Er hat sich sehr gut benommen, finde ich. Überhaupt nicht nachtragend.«
Peter hob erstaunt eine Augenbraue. »Meine Liebe, Sie können offenbar Wunder wirken. Zuerst Connelly und jetzt Brian. Sie scheinen ein gutes Händchen im Umgang mit schwierigen Männern zu
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