Die Geisterseherin (German Edition)
dafür, dass du dich einem normalen Menschen gezeigt hast – das war das Vergehen der Herrin der Zeit und für diese Tat wird sie sich dann verantworten müssen, wenn sie einmal hier steht. Ich bestrafe dich nur dafür, dass du deine Tochter so im Stich gelassen hast. Wir sollten jetzt lieber beide hoffen, dass sie es auch ohne dich packt.“
„Ach, sie wird es schon überleben.“
„Sie vielleicht schon... aber wer sonst noch?“
Yuki und Sayuri hatten die Sachen bezahlt, jeder einzeln für sich, und waren anschließend schweigend und ohne irgendwelche Umwege zurück zu Yuki's Wohnung gelaufen. Es war eine angespannte Ruhe, die zwischen den beiden lag. Wie ein dichter Schleier, der jeglichen Schall schluckte. Sie beide hingen ihren eigenen Gedanken nach. Sayuri dachte dabei gar nicht an die Wette, die sie mit ihrem Cousin am laufen hatte, da sie sich sicher war, dass sie diese gewinnen würde. Aber dennoch waren ihre Gedanken bei den Kleidungsstücken... nur eben ihren eigenen. Sie war sich plötzlich nicht mehr so sicher, ob sie das richtige tat. Am Ende hatte sie sich für ein simples, rosafarbenes T-Shirt und eine einfache Hose entschieden. Beide Kleidungsstücke waren so unscheinbar... so nichtssagend. Yuki hatte durchaus Recht, als er meinte, dass sie nicht zu ihr passen würden. Sayuri war eigentlich nicht der Typ Mensch, der herum lief, wie eine graue Maus. Ihr ganzes Leben lang hatte sie auffallen wollen, erst als Rockerin und schließlich als Gothic Lolita. Sie hatte Zigaretten und später auch Joints geraucht... und wünschte sich in diesem Moment ebenfalls einen her, um die Anspannung in ihr zu vertreiben... war in manchen Wochen öfters von der Polizei nach Hause eskortiert worden, als ihr lieb war und dem Alkohol war sie auch nie abgeneigt gewesen. Aber was sollte sie sonst tun? Sie konnte doch unmöglich beides haben... ausgefallene Outfits, aber niemandem damit auffallen. Sie saß in einer Zwickmühle und sie wusste es.
Während Sayuri so darüber nachdachte, ob sie vielleicht nicht doch Geld zum Fenster heraus geschmissen hatte, hing Yuki seinen ganz eigenen Gedanken nach – vor allem der Furcht davor, was geschehen würde, wenn er mit dem Outfit seiner Mutter gegenüber trat. Würde nichts passieren?
Würde es in einem großen Krach enden?
Je näher er seiner Wohnung kam, desto mehr überkam ihm das Gefühl, dass er einen riesigen Fehler gemacht hatte. Einen Fehler, den er noch sein Leben lang bereuen würde. Selbst Sayuri fiel auf, dass seine Schritte immer kleiner wurden.
Auf dem Weg war er dutzende Szenarien durchgegangen, hatte sich für jede erdenkliche Möglichkeit einen Rettungsanker abgespeichert. Eigentlich sollte nichts schiefgehen können, egal wie schief es auch ging.
Dennoch verkrampfte sich sein Herz, als er mit der Tüte im Arm die Tür zu seiner Wohnung aufschloss.
„Mama, wir sind wieder da!“, rief er ein wenig zaghaft in die Wohnung hinein. Aus der Küche erklang eine dumpfe Antwort, die Yuki aber nicht ganz verstand, weil die laufende Spülmaschine die Worte übertönte.
„Jetzt heißt es „Alles oder nichts“...“, flüsterte ihm Sayuri mit einem bösen Lächeln zu. Er nickte und warf einen Blick in die Tüte. Auch wenn ihn die Zweifel plagten, so würde er diese Wette durchziehen. Sein Stolz ließ es nicht zu, dass er den Schwanz einzog. Außerdem hätte er diese ja auch nicht angenommen, wenn es nicht die Chance gäbe, dass er Recht hatte.
„Ich bin kurz oben und ziehe mich um. Außerdem muss ich die Preisschilder entfernen.“
„Klar, lass dir Zeit. Ich lenke solange deine Mutter ab.“
„Hey, wehe du sagst ihr „Gleich kommt dein Sohn als Megumi verkleidet herein“!“
Sayuri lachte und schüttelte dann den Kopf.
„So ein Sieg würde mich nicht befriedigen. Keine Angst, ich werde mit ihr nur über die Schule und das Wetter reden.“
Mit einem dicken Kloß im Hals nickte er zustimmend und lief dann die Treppe hinauf in sein Zimmer. Die Tür schloss er hinter sich sorgfältig, bevor er den Inhalt seiner Tüte auf dem Bett verteilte. „Warum klopft mein Herz auf einmal so stark“, murmelte er nervös und legte seine Hand auf seine Brust.
Badumm... Badumm... Badumm... Er konnte jeden einzelnen Herzschlag hören, den Puls durch seine Adern jagen spüren. „Es ist doch so... wie immer. Ich habe das doch schon tausende Male getan.... Warum also fühle ich mich dieses Mal so... ertappt?“ Er griff zögerlich nach der Schere, die auf seinem Schreibtisch lag und
Weitere Kostenlose Bücher