Die Geisterseherin (German Edition)
nicht so lange der Junge diese Einstellung hatte.
„Huh, was lächelst du denn so, Mikoto?“ fragte Yuki neugierig. „Oh, ich habe mich nur darüber gefreut, dass ich weniger Arbeit habe.“
„Muss ich das verstehen?“
Yuki legte den Kopf schräg und versuchte herauszufinden, was Mikoto gemeint hatte.
„Ah, was ich dich fragen wollte. Wie sieht es aus, wegen den Schulbüchern. Soll ich dir dabei helfen die nötigen Bücher zusammen zu stellen?“
„Nein, nicht nötig. Mein Vater bestellt die eh wieder. Aber mal eine andere Frage...“
Sie drehte sich zu Yuki um.
Je eher sie über diverse Dinge Bescheid wusste, desto eher konnte sie entscheiden, wann sie wo eingreifen musste. Informationen waren das wichtigste Gut.
„Hast du eine Zwillingsschwester?“
„Wa...?!“
Die Reaktion war etwas unerwartet, Yuki reagierte, als hätte man sie ertappt, zuckte zusammen und stammelte irgendetwas, dass Mikoto nicht entziffern konnte.
„Nein, Yuki-chan hat keine Zwillingsschwester, wie kommst du darauf?“, mischte sich Steve in das Gespräch ein, seine Tasche über die Schulter hängend.
„Also frag doch nicht so einen Blödsinn. Kommst du dann, Yuki?“ „Äh... ja... natürlich. Einen Moment, Steve.“
Yuki packte hastig ihre Sachen zusammen und folgte dem Jungen, der bereits das Zimmer verlassen hatte.
„Bis morgen, Mikoto!“
Alle Schüler und Schülerinnen hatten inzwischen das Klassenzimmer verlassen und auch Mikoto begann langsam ihre Sachen zusammen zu packen.
„Keine Zwillingsschwester, huh? Sieht mir aber danach aus...“, flüsterte sie leise vor sich hin.
Sie machte sich dabei Gedanken um die verschiedenen Geister, die sie heute in dieser Schule gesehen hatte... Geist A, das Mädchen, dass Makoto folgte, konnte sie abhaken fürs Erste. Die war der klassische Fall und würde sicher irgendwann einmal von ganz alleine auf die andere Seite gehen. Geist B dagegen war interessant. Das Mädchen trug und tat praktisch das gleiche, wie Yuki. Wie ein Spiegelbild... darum nahm sie auch an, dass es Yuki's Zwillingsschwester gewesen sein könnte. Und Yuki's Reaktion kam ihr auch seltsam vor. Sie sollte den Geist weiterhin beobachten, nur zur Sicherheit. Die meisten anderen Geister der Klasse konnte sie ebenfalls abhaken, ein paar setzte sie aber auf ihre imaginäre „Beobachten“-Liste, was allerdings noch nicht bedeutete, dass sie irgendwann eingreifen musste. Warum es nicht nötig war, bei allen Geistern einzugreifen? Die Antwort darauf war simpel: Die meisten Geister wollten nicht auf ewig in unserer Welt bleiben. Sie wollten nur eine Kleinigkeit noch erledigen, zum Beispiel sehen, dass der Ehemann über den Tod hinwegkommt. Sie blieben so lange hier, bis sie dieses Ziel erfüllt sahen, dann gingen sie ins Licht, erlebten ihre Wiedergeburt durch das Rad des Schicksals, dem ewigen Kreislauf des Lebens und begannen so ein neues Leben.
Einige Geister, die sie heute gesehen hatte, waren auch genau so. Großmütter, die erst vor wenigen Tagen gestorben schienen, schauten nach ihren Enkeln so lange, bis es ihnen wieder besser ging. Auch tierische Geister taten das öfters. Ein paar realisierten ihren Tod auch einfach nicht sofort und brauchten ein paar Tage, um zu verstehen, dass sie tot waren und ins Licht gehen mussten.
Leider aber waren nicht alle Geister so. Wäre dies der Fall, dann hätte Mikoto wahrlich ein ruhiges Leben.
Das war auch einer der Gründe, warum sie sich überhaupt in die Angelegenheiten toter Menschen einmischte.
Mikoto seufzte und nahm ihre Tasche, verließ das in das Orange des Sonnenuntergangs getauchte Klassenzimmer nun ebenfalls. Als sie durch das große Schultor trat, waren bereits kaum noch Schüler zu sehen. Die Clubs hatten ihre Aktivitäten begonnen und der Rest war bereits nach Hause gegangen.
Mikoto's neue Wohnung lag nicht weit weg von der Schule, man lief einmal quer durch die Innenstadt und dann den Hügel zur Hälfte hinauf, insgesamt vielleicht eine halbe Stunde Fußweg. Bei der Hitze, die jetzt im Sommer herrschte, war das natürlich ein ganzes Stück. In jeder anderen Jahreszeit dagegen war die Strecke ein Klacks. „Muss Vater immer weiter südlicher ziehen...“
Mikoto murmelte diesen Satz immer wieder vor sich hin, sie war nun mal ein Winterkind, auch wenn sie im Sommer geboren war. Hitze war dennoch nicht gerade ihr Liebling. Auch als Kind hatte sie immer lieber im Schnee getollt, als im Sommer im Freibad zu schwitzen. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie sich ja noch über den
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