Die Geisterseherin (German Edition)
ImageBranding war nicht in wenigen Wochen rückgängig zu machen. „Na los, Yuki-chan. Lass uns was essen gehen, bevor wir wirklich nur noch die Reste bekommen.“
Die beiden verließen das Klassenzimmer in Richtung Mensa, wohl wissend, dass die Chance, dass es noch etwas anderes als das unbeliebte Menü B geben würde, verschwindend gering war.. Mikoto war zu diesem Zeitpunkt im Lehrerzimmer bei dem vorher benanntem Geschichtslehrer.
„Das war es auch schon, Miss Sugisaki. Wenn ich Sie bitten dürfte, noch einen kleinen Moment auf dem Gang zu warten. Es gibt da noch ein paar kleinere Formalitäten, die ich zu erledigen habe, bevor wir mit dem Unterricht beginnen können. Für den Moment ist ja eh noch Pause.“
Herr Nagoya war ein älterer Lehrer, der stets etwas gehoben zu sprechen schien, was auch Mikoto sofort aufgefallen war. Die Schüler spaltete er in zwei Lager. So war er nur äußerst selten für einen Witz zu haben und sein Unterricht daher meist sehr trocken, doch seine Befürworter schätzten die Art seines Ausdrucks und die Weise, wie er Dinge erklärte. Tatsächlich war es so, dass nur wenige Schüler bei Herrn Nagoya zu lernen brauchten, selbst die Klassenidioten kapierten den Stoff, wenn er es erklärte.
Mikoto nickte und verließ das Lehrerzimmer, lehnte sich vor dem Zimmer an die Wand und starrte auf das gegenüberliegende Fenster. Da noch Pause war, konnte sie die Schüler beobachten, die hektisch von A nach B rannten, noch schnell die Toilette aufsuchten oder gerade aus der Mensa zurück kamen.
Nach ein paar Sekunden fing sie an zu pfeifen, eine alte Opernmelodie, welche ihre Mutter stets gesungen hatte, als Mikoto noch ein kleines Kind gewesen war.
Dabei fiel ihr ein, dass ihre Mutter sich schon länger nicht mehr gezeigt hatte. Sie blickte auf die Uhr, welche auch eine Datumsanzeige besaß und rechnete im Kopf nach, wie lange es her war...
Seit dem ersten Mal, als sie ihre Mutter nach ihrem Tod gesehen hatte, waren die Abstände ihres Erscheinens immer länger geworden. Sie summte oder sang stets irgendwelche Melodien, meist aus der Oper, sagte aber nie ein Wort. Manchmal fragte sich Mikoto, ob die Melodien einen Grund, eine geheime Nachricht an sie waren und warum ihre Mutter nie normal mit ihr sprach, zumal sie verstand, wenn Mikoto mit ihr redete. Es gab eine Zeit, da glaubte sie selbst, dass sie verrückt sei. Dass sie sich ihre Mutter nur einbildete, aber inzwischen wusste sie, dass sie echt war.
Wenn sie als Beispiel diesen einen Jungen nahm, der gerade mit großen Schritten und total verschwitzt an ihr vorbei eilte... ein rothaariger Junge in Schuluniform, die Hände in den Hosentaschen und basierend auf seinem Schritttempo anscheinend viel zu spät zum Unterricht erschienen. Kurz hinter ihm lief ein Mädchen entlang, ein Mädchen mit kurzen schwarzen Haaren, dass einen blasslila-farbenen Kimono und darüber eine rote Lederjacke trug. Niemand anderes sah dieses Mädchen, der Junge erst recht nicht, denn dieses Mädchen war tot.
Aber Mikoto sah es ganz deutlich und das Mädchen sah sie ebenfalls, verstand ihre Funktion und gab ihr per Geste zu verstehen, dass Mikoto sie vorerst in Ruhe lassen sollte. Leise flüsterte sie ein „Ich kann noch nicht gehen...“ zu ihr.
Mikoto wusste, dass es echt war. Sie hatte es ja oft genug erlebt. Wie oft hatte sie Geistern geholfen oder gar gegen einen kämpfen müssen. Bei einem Kampf war sie sogar ziemlich zugerichtet worden... und die blauen Flecken waren für sie Beweis genug, dass sie sich all dies nicht einbildete.
Sie seufzte, als der Lehrer das Lehrerzimmer verließ und folgte ihm in Richtung ihres neuen Klassenzimmers. So, wie sie es schon unzählige Male an den verschiedensten Schulen des Landes getan hatte. Irgendwann musste sie sich um das Mädchen kümmern... aber nicht jetzt. So lange sie ihm nur folgte, war es vollkommen in Ordnung, wenn sie sich weigerte ins Licht zu gehen.
Fast alle Geister hatten noch etwas, dass sie tun mussten, bevor sie diese Welt endgültig verlassen konnten. Das war ganz natürlich und auch meist der Hauptgrund dafür, dass sie überhaupt noch in dieser Welt anzutreffen waren. Einige davon strebten dieses Ziel an und sie hatte das Gefühl, dass es bei diesem Geist so war. Problematisch waren nur die Geister, die einfach nur nicht sterben wollten... Oder eben jene, deren Ziel sie noch nicht verstanden hatte... wie beim Geist ihrer Mutter.
„Die Stockwerke dieser Fakultät sind nach Klassenstufen unterteilt, ganz
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