Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Das kann nur dieser May sein, bestärkte ihn sein Cousin, wir müssen ihn auf frischer Tat erwischen, ihn beschämen, vielleicht erkennt er dann, was er für einen ungeheuerlichen Vertrauensbruch begeht. Die ganze Fahrt über hat er, Fehsenfeld, geschwiegen und gebrütet und darüber nachgedacht, was er tun und was er sagen wird, wenn er seinem Erfolgsautor gegenübersteht. Sei nicht so grob zu ihm, hat Paula beim Abschied gesagt und ihm den Kragen gerichtet, bedenke, was du ihm zu verdanken hast, ohne ihn wärst du noch immer der kleine Winkelverleger mit den Landkarten und Regionalia, er hat nun einmal seine Schrullen, sieh sie ihm nach, er ist ein alter Mann und leidet unter seiner Fantasie. Wenn er sich einbildet, du betrügst ihn mit seinen Auflagen, dann ist das für ihn so gut wie eine Tatsache. Er kann nicht anders, im Prinzip ist er ein harmloser alter, wenn auch genialer Narr. Stell ihn zur Rede, in aller Güte, verstehst du, red ihm ins Gewissen und dann lädst du ihn gleich für ein paar Tage zu uns nach Freiburg ein. Glaub mir, das beschämt ihn mehr als alle Drohungen oder eine Gardinenpredigt.
Ja, Paula, ist gut, hat Fehsenfeld leise und ein wenig heiser gesagt und seine Frau auf die Stirn geküsst. Warum Frauen nur immer so klug sind, überlegt er, sie sind die geborenen Diplomaten – auf die Idee, May nach Freiburg einzuladen, anstatt ihn anzubrüllen, wäre er nicht gekommen – ein blendender Einfall. Sie könnten spazieren gehen, Forellen angeln, über neue Projekte reden, während die Frauen im Vorgärtchen werkeln oder bei einer Handarbeit und einem Likör Frauensachen bereden. Wirklich, ein guter Einfall von seiner klugen Paula. Ach, wenn er die nicht hätte, und er spürte eine warme Welle Liebe …
Dann, in Gundelfingen, am Rathausplatz angekommen, sind sie, Felix und er, wie zwei Detektive zuerst eine ganze Runde um den Platz gegangen, vorsichtig und hintereinander, als ob sie nicht zusammengehörten, dann sind sie hinter dem Platz herum zum Unteren Tor, diesem fünfgeschossigen Wahrzeichen aus dem Mittelalter, durch winkelige, enge und halbdunkle Gassen zurück, am Gasthof „Zum Kreuz“ vorbei, wieder auf den Platz gelaufen, nicht zu schnell, eher wie Spaziergänger oder Touristen, ab und zu den Mund aufreißend, mit den Händen auf die umliegenden Bauten zeigend, ein „Ah!“ und ein „Oh!“ ausstoßend. Felix, der auf die Idee mit der Touristentarnung gekommen war, hat sogar eine Wanderkarte gezogen, sie großartig ausgebreitet, ist mit dem Finger darauf entlanggefahren. Nur nicht auffallen! hat er gesagt. Ganz harmlos tun, aber immer die Augen offen halten. Dann ist dem Cousin die Idee mit dem Gasthof „Zum Kreuz“ gekommen. Ich glaube, hat er auf einmal geflüstert, dort ist dein Gesuchter abgestiegen. Das ist genau die Lokalität, die ein May bevorzugt, glaub mir.
Fehsenfeld gab seinem Cousin recht. Tatsächlich, dort könne sein Autor abgestiegen sein, ein alter, historischer Gasthof, bürgerlich rustikal und dennoch vornehm. Dann wären wir ja gerade dran vorbeigelaufen, Felix, und er könnte uns vielleicht durchs Fenster gesehen haben. Ach, was sind wir Trottel!
Das glaube ich nicht, antwortete Krais, er zog seine Taschenuhr, es ist noch eine halbe Stunde Zeit. Dein May sitzt jetzt mit seiner Emma noch beim Frühstück und tunkt gerade sein Brötchen in den Kaffee, oder er schlägt ein Ei auf. Der hat uns nicht gesehen. Das wette ich. Komm, wir setzen uns dort in das kleine Ratscafé und warten einfach ab. Da haben wir den ganzen Platz im Blick, sehen alles, was vorgeht, auch unseren May, wenn er ahnungslos und in großer Pose als Geheimer Rat mit seiner Holden anstolziert kommt. Gesagt, getan. Sie nahmen in dem kleinen Café Platz, bestellten Kuchen, Kaffee und jeder eine Portion Sahne.
Nun hatten sie aber nicht bedacht, dass zur gleichen Zeit, da sie sich im Café niedersetzten, auf dem Rathausplatz ein geschäftiges Treiben einsetzen würde, denn es war Markttag. Zwar hatten sie, als sie vor ihrer Spazierrunde hier ankamen, ein paar Buden stehen sehen, auch waren für die Tageszeit schon viele Gundelfinger auf den Beinen, doch sie hatten das nicht weiter ernst genommen. Jetzt aber hatte sich der Platz vor dem Rathaus gefüllt und er füllte sich noch weiter. An eine Übersicht war nicht zu denken. Der ganze Platz schien mehr und mehr eine einzige zusammengedrängte Volksmasse, und ständig strömte neues Volk heran, sodass man glauben konnte, kein einzelner Mensch
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