Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
passe mehr dazwischen. Die verschiedensten Farben glänzten im Sonnenschein, und zwar in so kleinen Flicken, dass Fehsenfeld glaubte, ein hin und her wogendes Tulpenbeet zu sehen, und wenn er konzentriert hinschaute, begannen ihm die Augen zu tränen. Er sagte zu seinem Cousin, nun müssten sie wohl oder übel ihren Plan ändern und gleich hinüber zum Buchladen gehen. Hier könne man den Gesuchten keineswegs entdecken. Doch Krais schüttelte den Kopf, man müsse nur sehen lernen und ein Auge haben, welches wirklich schaut. Jener Marktplatz wie alle derartigen Lokalitäten, sagte er, bietet dir scheinbar nichts dar als einen Anblick scheckichten, sinnverwirrenden Gewühls, und doch erkennt man, wenn man zu schauen gelernt, das bürgerliche Leben in all seiner Vielfalt und Skurrilität wie auch den gesuchten Einzelnen, ganz so, wie man in einem Haufen Heu, wenn man die Gesamtheit gesehen, schließlich mit ein bisschen Glück den kleinen gesuchten Halm entdecke, und am liebsten bliebe er hier sitzen und schaute und schaute und ließe den lieben May, den sie ganz sicher noch entdecken würden, einen frommen Vater sein.
Bitte, Ernst, sieh einmal zum Beispiel dort nach links. Siehst du die etwas putzig gekleidete Person mit dem großen Flechtkorb am Arm, die gerade mit einem Eierhändler an dessen Stande in tiefem Gespräch begriffen? Ja, antwortete Fehsenfeld, fast ein wenig gelangweilt oder doch genervt, denn er überlegte, was sie jetzt tun sollten, die Zeit verrann, und drüben beim Buchhändler Pforzheim konnte gerade Herr May nebst Gattin als vorgeblicher Revisor des Leipziger Börsenvereins in den Laden treten. Ja, sagte er, die sehe ich wohl. Was ist mit ihr?
Sieh, entgegnete der Cousin, es ist eine Frau. Sie hat ein grelles Tuch um die Schultern und ein Mützchen auf dem Kopf, wie es die Französinnen tragen. Mir scheint, es ist tatsächlich eine Französin. Ihr ganzes Wesen ist danach. Ich wette, sie ist zur Kur hierhergekommen und will nun einmal bei einem deutschen Markttage ihren Korb füllen. Schau, jetzt geht sie weiter, droht im Gewühl zu verschwinden. Wir wollen doch sehen, ob wir sie mit den Augen weiter verfolgen können, ob wir ihren Lauf in den verschiedenen Krümmungen beobachten können. Wie gut, dass wir hier ein wenig erhöht sitzen und so doch einen halbwegs guten Überblick haben. Fehsenfeld, jetzt tatsächlich ärgerlich, mahnte zum Aufbruch. Lass die Spielerei, Felix, das ist doch alles Firlefanz, wir verlieren unser eigentliches Ziel aus den Augen.
Oh schau, rief der Cousin, ohne darauf einzugehen, wie sich unser grelles rotes Tuch durch die Massen windet. Jetzt ist sie schon der Kirche nah und feilscht dort drüben um ein wenig Obst. Jetzt, halt! Jetzt ist sie fort! Schade.
Komm, lass uns gehen, drängte Fehsenfeld. Es ist gleich Viertel nach zehn. Unser May wird wohl schon am Werke sein. Nein, nein, nur Geduld, liebster Cousin, sagte Krais, der Drucker, sieh lieber dort, etwas rechts, jene hübsche junge Frau. Was für eine tolle Figur, das nussbaumfarbene Haar, wie es in der Sonne glänzt und gleißt. Ja, die mit dem seidenen Überwurf und dem Musselinkleid, zu kurz freilich, oh schau, wie sie Bein sehen lässt. Und die Schnürstiefel. Zauberhaft. Reizend. Doch wie sie läuft, wie sie entschlossene, fast böse Blicke um sich wirft, wie sie an jedem Stand die Waren berührt, alles gleich in die Hände nimmt, daran herumdrückt und sie dann angeekelt wieder weglegt, und nichts erhandelt, alles schweigend tut, mit ihrem bösen Blick. Interessant. Höchst interessant. Wer mag sie sein? Wer ist sie? Lass uns noch ein Weilchen hier verweilen, liebster Cousin, ich bitte dich.
Der May! Wir müssen hinüber zum Buchladen. Felix, so komm doch. Fehsenfeld ist aufgestanden, hat die Börse gezückt, um dem Kellner anzuzeigen, dass man zahlen und gehen möchte. Doch sein Cousin hat wieder etwas entdeckt. Mit der ausgestreckten Hand zeigt er zu einer Gruppe Marktweiber, die auf niedrigen Stühlen sitzend ihren ganzen Kram in verschiedenen flachen Körben und Kisten vor sich hingebreitet haben, die eine bietet Obst, eine andere frisch geschlachtete Tauben, die dritte Lederbörsen und bunte Tücher, die vierte Strümpfe und Strickwolle, sie schreien sich in die Ohren, um den Marktlärm zu übertönen, sie haben sich Kaffee zubereitet, trinken, schreien, preisen ihre Waren an, alles auf einmal.
Sieh nur, ruft Felix, was für Physiognomien, welches Orchester der Charaktere, wie sie gestikulieren, wie
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