Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Langen Sie zu, lieber Herr Schneider, sagte Klara und es klang mütterlich und besorgt. … ihre Mutter sage immer, sprach sie nach einer kleinen Pause weiter und hob lauschend den Kopf, als ob die Alte in ihrem Obergeschoss etwas davon hören könne, der Magen sei in Wahrheit der eigentliche Sitz unserer Seele, ihn gelte es zu verwöhnen, und wenn man dies täte, dann streichle man auch die Seele. Also essen Sie nur tüchtig, lieber Herr Schneider, Sie werden sehen, mit jedem Happen wird Ihnen wohler, und wenn Sie ein paar von den Lachsröllchen und den köstlichen Sprotten gegessen haben, werden Sie Ihren ganzen Kummer vergessen.
Schneider, das Lachsröllchen auf der Gabel, zögerte einen Moment, er wusste nicht, ob er darauf etwas sagen sollte, also lächelte er verlegen und schob sich den Bissen in den Mund.
Auch May, der sich ein gebratenes Hühnerbein gegriffen hatte, lächelte, nickte, ja, ja, langen Sie nur zu, mein Lieber, wir geben es gerne, es kommt von Herzen …
Nach dem Imbiss wurde die Flasche Wein entkorkt, Klara schenkte ein, man stieß an. Auf gute Gesundheit! Zum Wohl! Prosit!
Man trank, doch das Gelöste, die Entspannung, die man sonst beim Weintrinken kennt, schien sich nicht einstellen zu wollen, es war zu spüren, dass Wichtiges noch ungesagt geblieben war. Das betraf beide Männer, May wie auch Schneider, dem man ansah, wie sehr es ihn drängte. Und so setzte er auch bald sein Glas halb ausgetrunken vor sich auf das Korbtischchen, seufzte tief und sagte, gut, sein Geständnis wolle er später noch anbringen, doch ihn peinige der Gedanke an die Herkulesaufgabe der geplanten Deckelbilder, Tag und Nacht müsse er daran denken, auch jetzt, während sie so säßen, Wein getrunken hätten und leckere Happen verspeisten, auch eben noch beim Abendessen drüben im Esszimmer oder vor dem Bild „Die Offenbarung“, immerwährend wanderten ihm Gedanken wie halbfertige Entwürfe durch den Kopf. Posaunenstöße müssten die Bücher, von ihm neu ausgestattet, werden. Wie Posaunenstöße! Biblische Posaunenstöße! Ob er, May, das verstehen könne? Aber wie solle das alles in so kurzer Zeit zuwege gebracht werden? Man brauche Zauberkräfte dafür. Er müsste ja nicht nur das jeweilige Buch lesen, für das er gerade arbeite, nein er müsse die angrenzenden Bände kennen, um die Leitgedanken zu verstehen, die sich durch das Ganze zögen, wie in Wagners „Ring“ – wie solle er das alles, sozusagen gleichzeitig schaffen, wie die nötige Ruhe finden? Es sei für ihn ein ganz und gar komplexer Prozess, der durch Machen,
das Schaffen
, durch Lesen,
das Ergriffenwerden
, und vom Durchdenken,
dem Ergreifen
, bestimmt werde. Das koste Zeit, das könne man nicht in Eile leisten oder in getriebener Hast. Ob sein alter Freund dies verstehe? Es gäbe anderes noch: Denn es beginne in einem Monat die Große Kunstausstellung im Städtischen Ausstellungspalast am Stübelplatz, ja die fände wieder statt und einen ganzen Saal habe man diesmal für ihn bereitgehalten. 24 großformatige Gemälde, jede Menge Pastelle, Zeichnungen, Kartons … Sie wissen, lieber May, Sie stehen mit meinem „Triumph“ als Besitzer im Katalog.
Ach, fuhr der Maler zerknirscht fort, sein Tag müsse mehr als 24 Stunden haben, er fühle, wie seine Zeit, wie auch die Kräfte nicht mehr reichten, denn obwohl die Malerei ein Handwerk sei, wäre er ja kein Handwerker, der einfach ein neues Stück Material und ein Werkzeug in die Hand zu nehmen brauche und schon könne er losarbeiten, nein, nein, es sei auch immer eine Eingebung dazu nötig, manchmal oder meistens sogar eine göttliche Eingebung, doch der liebe Gott, der warte nicht auf einen wie ihn, also müsse er als Künstler die Stimmung selber herbeiführen, die er brauche, um die Kreativität, seine scheue Fee, anzulocken, dann, ja dann ließe sich auch Gott herbei, und nebenbei wäre er ja auch noch ein Mensch mit ganz profanen Bedürfnissen, er müsse sich kleiden, er müsse essen, trinken und er müsse schlafen, viel schlafen, denn nur ausgeschlafen könne er überhaupt arbeiten …
Doch zurück zu den Deckelbildern. So vieles gäbe es da noch zu beraten und festzulegen: die Einbandfarbe, die Gestaltung und die Farben des Vorsatzpapiers, die Farbe der Deckelbilder – eine künstlerische Einheit müsse sich ergeben, etwas Einmaliges, noch nie Dagewesenes … auch, welches Motiv für welchen Band auszuwählen sei usw. usw.
Schneider machte eine Pause, er suchte nach seiner Zigarre, die
Weitere Kostenlose Bücher