Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
außerdem noch ein paar Fehsenfeld-Bände übernehmen. Ach, er wird, ob er nun wolle oder nicht, nach Prag reisen müssen, denkt May, um endlich diese Herren einmal beim Kragen zu packen und mit den Köpfen zusammenzuschlagen. Und schließlich das Neueste, die unverschämte und dreiste Bitte eines Redakteurs namens Rudolf Lebius, dass er ihm doch recht bald einen Artikel für sein Blatt „Sachsenstimme“ schreiben solle, und dass er ihn, May, für seine respektable Zeitung interviewen wolle. Und schließlich, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hat er ihm, May, ganz unverblümt mitgeteilt, dass er ihn gerne besuchen käme, schrieb dies in einem Tone, ganz so, als ob das längst beschlossene Sache wäre. Ein aufdringlicher und unangenehmer Mensch, dieser Lebius! Schon einmal, vor zwei Jahren, erinnert sich May, hat er von diesem Kerl einen solch lästigen Brief bekommen. Er hat nicht geantwortet damals. Doch leider, solche Spitzbuben könne man eben nicht auf Dauer abwehren, denkt May und er betrachtet die Federspitze seines Schreibgerätes lange und intensiv, namentlich, wenn sie irgend so ein Wurstblatt besäßen, die hielten ihre Zeitung, und sei sie noch so klein und unbedeutend, wie eine Waffe in der Hand und könnten einem jederzeit Schwierigkeiten machen, also, was war ihm übrig geblieben jetzt, er hat ihm schreiben müssen, diesem Herrn Lebius – er erwarte ihn. Und dieser Mensch natürlich antwortete postwendend, dass er gleich Anfang Mai, und zwar am zweiten, zu ihm käme und dass er hocherfreut wäre. Und als er seinem Maxe Dittrich dann, dem Freund, sagte, erinnert sich May weiter, er möge doch am zweiten Mai dabei sein, wenn dieser Lebius nach Radebeul komme, da hat sein alter Freund ein Gesicht gezogen, als habe er in einen Essigschwamm gebissen und gleich gesagt, oh, von diesem Kerl wäre nichts Gutes zu erwarten, er habe ihn mal kennengelernt, der sei ein Schurke und keineswegs aller Ehren wert … aber über Einzelheiten hat Max nicht gesprochen, ihm nur zugeraten, den Lebius einzuladen. Ja, hol ihn dir nach Radebeul! Man müsse diese Leute Aug in Auge sehen. Er jedenfalls werde dabei sein, hat Dittrich gesagt, zeugnishalber, und hat vielsagend gelacht. Und nun sitzt er, der geplagte, der gepeinigte, der von allen Hunden gehetzte Autor May, in seinem Arbeitszimmer, quält sich, mutmaßt, fantasiert sich was zusammen, grübelt über neuen, bevorstehenden Ärger, der ihn ereilen könnte, und kommt nicht zum Schreiben. Kommt einfach nicht weiter! Und dabei müsste er längst beim letzten Kapitel seines „Friede“ sein, müsste die Fortsetzung der Erzählung vollenden. Ach, es ist zum Verrücktwerden …
May stöhnt leise auf, nimmt die rechte Hand von der Stirn, ergreift, zögernd noch, das Schreibgerät, betrachtet wieder und wieder die Iridium-Feder, die neue, die wie Bronze glänzt, dreht sie hin und her, betastet die Spitze lange und taucht sie dann entschlossen und mit einer schnellen Bewegung in das Tintenfässchen. Er schreibt
…nun ist es heute an der Zeit, den damals ausgelassenen Schluss hinzuzufügen … „das ist eine Arbeit, die mir Freude bereitet, eine Arbeit, die mir jeden Werktag zum Feiertag machen würde. Und es ist doch heute nicht Wochentag, sondern Sonntag. Die Fenster sind geöffnet, und auch meine Balkontür steht offen, grad so gegen Süden, wie damals die Fenstertür im Kratong zu Kota Radscha, als der malayische Priester von uns Abschied nahm …
6 Natürlich, es ist heute nicht Sonntag und heller Tag ist es auch nicht, die Balkontür ist nicht geöffnet und der Blick von seinem Balkon aus geht nach Westen und nicht nach Süden. Nein, die Balkontür wird er nicht öffnen jetzt, dafür sind die Nächte noch zu kalt, aber er fühlt, wie mit diesen Sätzen scheinbar durchs Schlüsselloch die Fantasie, einer dienstbereiten vertrauten Fee gleich, zu ihm ins Zimmer gekommen ist.
Er atmet befreit aus, lächelt, runzelt die Stirn, konzentriert sich, schreibt weiter …
* * *
Elsbeth Kühnel arbeitete an der Abschrift des Artikels „Richard Wagner, ein deutscher Heros und Visionär?“. Während sie mechanisch tippte, wanderten ihre Gedanken zu anderen Welten, sorgenvollen und weniger angenehmen Dingen offenbar, denn ihr ebenmäßiges, blasses und ein wenig hageres Gesicht war widerwillig verzogen: drei scharfe, unschöne, harte Falten spalteten über der Nase die Stirn.
Elsbeth Kühnel – Schreibarbeiten jeder Art
, kündet vorn am Vorderhaus neben dem
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