Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
beobachtet, auch den Maler beschaute er, und nur an Mays ausgestreckten Fußspitzen konnte man die Erregung sehen, die ihn ergriffen hatte. Sie zitterten, diese Fußspitzen in ihren eleganten, mit indianischen Mustern verzierten Lederpantoffeln, und er musste seine Beinhaltung verändern, sie zurücknehmen, anziehen, um die Fußspitzen unter dem Korbsessel zu verstecken.
Jetzt richtete sich May in seinem Korbsessel in die Höhe, er parierte den auf ihn gerichteten Blick seines Gastes ohne ein Blinzeln, ohne irgendeine Verlegenheit, und nach einem schnellen Blick zu seiner Frau bedeutete er ihr, den Raum jetzt zu verlassen.
Zu Schneider rief er halblaut: Männersachen! Mein Herzle versteht das, reine Männersache, klar! Klara, mit gesenktem Kopf, ging hinaus, sie schloss leise die Tür, da sagte May mit einer Handbewegung dem Freund, dass er eine solche Offenbarung wie eben die seine schon längst erwartet habe. Im Grunde sei keine Aufregung nötig. Er sei als Schriftsteller immer ein Menschenbeobachter und Menschenkenner gewesen, und er wisse von den menschlichen Leidenschaften, auch den verbotensten. Nichts könne ihn überraschen. Außer vielleicht unerwartete Bosheit und Heimtücke, die ihn immer wieder am meisten aufrege, wie das Geifern von Journalisten und selbst ernannten Kulturwächtern, gerade jetzt habe er wieder einige Briefe, ein paar Zeitungsartikel und Nachrichten bekommen, welche ihm große Sorgen bereiteten …
Aber Ihr Fall, lieber Sascha? Ach nein, mein lieber Schneider … verzweifeln Sie nicht, das ist keine so große Sache. Wir sollten lieber überlegen, mein lieber, lieber Freund, fuhr er fort, was in Ihrem Fall zu tun ist. Vor allem, was Sie selber zu tun gedenken. Wer weiß denn außer uns noch von Ihrem Anderssein? Bitte, sagen Sie es mir, denn das sollten wir wissen …
Schneider schwieg, blickte zu Boden. Nach einer Weile sagte er: Natürlich weiß, wie ich schon sagte, Lilly davon … ach was, May winkte ab, die zählt nicht. Na und der Max, der Klinger, fuhr Schneider leise fort, auch der Hardenberg und noch zwei, drei … nicht viele wüssten es, wirklich nicht viele, Herr May. Der Kuno von Hardenberg? Ja, der Baron, und ebenso der Mühlberg, der Unger, der Müller, der Kreis … Was, auch der Architekt Kreis? Ja, warum nicht. Und natürlich Selmar Werner. Was, auch der Bildhauer? Schneider nickte. Das seien ja beinahe alle, die zu unserem engen Kreis gehören, schnaufte May und wirkte plötzlich erschöpft.
Schneider zuckte bedauernd mit den Schultern. Und der Maler saß vor dem alten Mann wie ein Schüler, der seinem Lehrer bei einem Hausbesuch berichten soll, wer alles bei dem Schlamassel, das man angerichtet hat, dabei gewesen wäre. Der Junge tat dem Alten leid, wie er so saß in seiner Qual, in seiner Schuld, die doch in Wahrheit keine war, und ihm fiel seine eigene Jugend ein, wie er sich gefühlt nach der ersten, nach der zweiten Verurteilung, wie es ihm da ergangen, wie sie hinter seinem Rücken in Hohenstein mit Fingern auf ihn gezeigt, wie die Eltern sich geschämt, wie sie sich nirgends mehr hingetraut hatten, nicht zum Bäcker, nicht zum Metzger, weil sie fürchten mussten, all das hässliche Gerede über ihren Sohn hören zu müssen; wie er und auch die Eltern sich gefürchtet hatten, eine Zeitung aufzuschlagen, ob nicht da wieder irgendetwas über ihn dringestanden wäre, Lügen, Verleumdungen, Vermutungen, aber eben auch Wahres, und wie er nicht in irgendeine Schankwirtschaft mehr hat gehen können, ohne dass es zu Pöbeleien, zu kleinen Schubsen, zu jeder Menge Geschwätz über ihn gekommen wäre. Nur ein paar Alte haben zu ihm gehalten, der Kantor, der Pfarrer, natürlich die Mutter, schade, dass damals die Großmutter, seine spätere Marah Durimeh, schon tot war, die hätte er gebraucht, da wäre er schneller drüber weggekommen. Und er sieht das Bild, wie er nach seiner ersten Entlassung im Elternhaus hinauf in die Stube der Alten gegangen war, und wie er mit wachsendem Entsetzen die wenigen Sachen, die sie besessen hatte, herumliegen sah, da war die Lade, mit blauen und gelben Blumen bemalt, die stand verschlossen, der Schlüssel abgezogen, und da sah er ihre Bettstelle; sie war leer, abgezogen, nur die blanke Matratze lag in dem alten abgeschabten Bettgestell und unten in der Wohnstube sagten die Eltern: Die Großmutter? Die sei schon im vorigen Jahr gestorben. Ihm hatten sie es verschwiegen, um ihn in der Anstalt nicht zusätzlich zu belasten. Die Geschwister
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