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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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Auge an – allesamt Zeichnungen von Karls neuem Freund, dem Maler Schneider. Dittrich steht auf, tritt heran, setzt die Brille auf, liest die Beschriftung, entziffert „Die sterbende Menschheit“ sowie „Christus und Mohammed“, setzt sich wieder, schüttelt den Kopf, große Kunst gewiss, aber er kann damit nichts anfangen. Nein, solche Bilder sind nicht sein Fall. Ja, wenn ein paar Schlachtengemälde hier hingen, „Der große Kurfürst bei Königgrätz“ oder „Die Hunnenschlacht auf den Catalaunischen Feldern“ oder „Der Sieg bei Peterwardein“ – das wäre was, aber dafür habe Karl eben keinen Sinn, immer müsse es Mystik sein, christlische Symbolik, nackte Männergestalten, und Kreuze, überall Kreuze … Rechts neben der Tür entdeckt er Bekanntes, da steht ja der alte Schrank noch, der die Reiseerinnerungen enthält. Auf ihm erhebt sich eine Büste Karl Mays aus Bronze. Oh, die ist neu! Von wem wird sie sein?
    Dittrich will sich erheben und nachsehen, doch er bleibt sitzen, denn er hört von oben Schritte kommen. Karl wird es sein, der herunterkommt.
    Flüchtig schaut Dittrich weiter, hastig und unkonzentriert, mit einem Ohr auf die näherkommenden Schritte lauschend. Ach ja, dem Schrank gegenüber befindet sich der alte Schreibtisch, auch der schon ein wenig beschädigt, er wird von der Gipsbüste des Bildhauers Selmar Werner dominiert. Dittrich erinnert sich, „Der Glaube“ heißt sie … Chinesische, phönizische und indianische Erzeugnisse sieht er überall in den Schränken, in der linken Ecke ein geflochtener, mit Koransprüchen geschmückter Wandschirm, wie ihn die Orientalen zum Abtrennen ihrer Zimmer verwenden, Karl hat ihn von seiner großen Orientreise mitgebracht, auf einem Regal liegt ein rottönernes Kalumet, ein Rosenöl-Fläschchen …
    Der stille Betrachter zuckt zusammen. Karl ist zur Tür hereingekommen.
    In pikfeinem dunkelgrauen Anzug, mit seidenem Halstuch, darin eine silberne Anstecknadel, die Haare gekämmt und ein wenig pomadisiert, so baut sich May vor seinem Freunde auf. Na, was sagst du? Der Freund macht große Augen, er weiß nicht, was Karl meint. Der begreift, schüttelt den Kopf, lächelt, nein, nicht mich sollst du bewerten, sondern
das
da! Und er nickt zu dem imposanten Schneider-Bild hin. Ein Prachtwerk, nicht wahr? Ganz ohne Zweifel. Jeder steht erschüttert davor. So was hat es in der Kunstgeschichte noch nicht gegeben. Wirklich, was ich immer sage: ein neuer, ein deutscher Michelangelo ist auferstanden. Aber, glaub mir, Max, dieser Schneider, er ist ja noch so jung, der arme Kerl kann einem leidtun, er hat große Selbstzweifel und auch sonst gibt es da … May räuspert sich, macht eine kleine Pause, fügt an: Ich hab ihn an Sohnes statt bei mir aufgenommen. Werde ihm helfen, in jeder Beziehung. Er braucht meine Hilfe. Auch Klara liebt ihn sehr.
    Na? Was sagst du? wiederholt er und stellt sich neben das Bild, als sei es ein Porträt von ihm. Dittrich rückt an seiner Brille. Was nur mit seinem Karl los ist, fragt er sich, und wie er sich herausgeputzt hat? Etwa für diesen Kerl, den Lebius? Für den hätte ich meinen ältesten Anzug angezogen, mich nicht gewaschen, nicht die Zähne geputzt. Und wie Karl heute auch riecht? Er muss sich ja eine ganze Flasche Eau de Cologne über den Kopf geschüttet haben.
    So kenne er ihn nicht, sagt sich Dittrich. Warum nur tue er das?
    Na, nun sag schon, lass dich nicht lange bitten, hört Dittrich seinen Freund. Oh, jetzt muss er etwas zu dem schrecklichen Bild sagen. Verflixt! Max Dittrich kratzt sich am Hinterkopf, zieht die Stirne kraus. Ja, also, sagt er gedehnt … in diesem Moment ertönt draußen die Klingel. Karl May tritt schnell ans Fenster, späht durch die Gardine. Unser Gast kommt! ruft er aus, und in seiner Stimme ist Nervosität, erregt eilt er zur Tür, ruft in den Flur hinaus: Klara, so öffne doch bitte! Wieder ins Zimmer zurücktretend, sagt er: Los, Max, schnell in unsere Ausgangsstellungen! Er meint damit die beiden Ledersessel, die am Durchgang zum Wohnzimmer stehen. Karl May und Max Dittrich setzen sich …
    Der ölige Scheitel des Rudolf Lebius glänzt Klara entgegen, als sie die Tür öffnet. Er verneigt sich wie ein Kammerdiener oder ein herrschaftlicher Bote. Als er sich aufrichtet, blickt Klara in helle, ein wenig wässrige Augen. Sein Blick ist ergeben, freundlich, indes eine Spur zu ergeben, ja beinahe hündisch, als dass man die Höflichkeit für ehrlich nehmen könnte.
    Kommen Sie doch

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