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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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Trageriemen fester, schreitet sicher und kräftig aus. Es ist nun schon das zweite Jahr, dass er wegen diesem Kerl hier umherschleicht; so manchen guten Bock hätte er anderswo schießen können, zum Beispiel im Revier seines Freundes, des Försters Stubbenbrandt, oder bei seinem Cousin Felix, der auch ein gutes Revier hat, aber es zog ihn immer wieder zur Lärchenschonung, in die Dickung bei den Berghauser Matten, in den Schwarzen Busch und in die Waldflecken ringsum, wo dieser verflixte Bock seinen Stand hat. Doch es war schwer, ihm beizukommen, denn als ob er die Nöte der Jäger kennt, ist es allzu nass dort, selbst in den trockensten Zeiten, und knöcheltief trieft und schmatzt der weiche, sumpfige Boden dort, und zu vorsichtig ist der Bock …
    Versuchen will er es heute doch wieder, denn er muss den Spezi strecken, er
muss
, sonst hat sich das Jägerglück endgültig von ihm abgewendet. Und alles andere Glück auch.
    Der Wind steht nicht ungünstig. Wenn er hier an dem kleinen Rinnsal, diesem Kümmerling von einem Bach, entlangschleicht, kommt er an die Stelle bei der alten verkrüppelten Linde, wo er sich vor Monaten schon einen Sitz gebaut hat, von wo aus er die lang gestreckte Senke vor den Berghauser Matten weit einsehen kann. Er erinnert sich, wie er von hier so manches Mal zwei oder drei Kranichpaare beobachtet hat, die ihre halbflügge Brut die Frosch- und Schneckensuche lehrten, oder eine Altfüchsin, die ihren Kleinen das kunstgerechte Springen auf Mäuselöcher beibrachte, er sah den Brachvögeln, den Birkhühnern und den Stockenten zu, entdeckte ein paar Meter weg zu seinen Füßen die Kreuzotter beim Ausräubern eines Bodennestes. Nein, langweilig ist es dort nie gewesen. Man konnte die Natur beobachten und nebenbei den Fortgang seiner eigenen Geschäfte bedenken. So ist es auch jetzt. Und wenn weiter nichts zu sehen wäre als das verschiedenfarbige Grün der Linden, der Eichen und Birken, der Lärchen und Fichten, als der Finkenhahn, der von einem Haselstrauch herab sei Liedchen zirpt, als die Feldhasen, die ihre wilden Laufübungen abhalten, als die hellgrauen Wildtauben auf den dunklen Fichten, als der graue Reiher, der majestätisch nach dem Wasser hinstreicht, es wäre schon genug für Fehsenfeld, dessen Augen diese Herrlichkeiten trinken wie ein Dürstender das Wasser einer Waldquelle. Mit einem Mal fühlt er sich belohnt, die Natur schenkt ihm, ohne dass er gegeben hat. Weiter um sich schaut er: Denn da sind noch ein paar Jungkrähen, die von den Alten noch gefüttert werden, Stare fliegen hin und wider, ein Birkhahn, auf der leeren Weidekoppel übergroß wirkend, plustert sich balzend auf, und fern über den Berghauser Matten schwebt eine Rohrweihe hoch und schwerelos dahin.
    Enttäuscht sieht der Jäger – Rehe sind nicht da. Dann, nach Minuten vor dem breiten Haselstrauch, der in der Sonne halb schwarz, halb türkisfarben glänzt, tauchen zwei Lauscher aus der grünen Dickung auf. Ein Gabelbock ist es, ein Anwärter der Zukunft, denn steiler und höher als die Lauscher ragt sein Gehörn; aber grau wie ein Esel ist er noch, und das Schmalreh, das zwischen den tief hängenden Ästen des Busches äst, zeigt ebenfalls kein Rot. Sie ziehen beide auf den Jäger zu, und Fehsenfeld sieht sich den Bock genau an, wie der, ab und zu aufblickend, hier ein Hälmchen, da eine Blüte pflückt. Und dann fegt er an einem Lärchentrieb sein Gehörn, dass die jungen Triebe weit umherfliegen. Auf einmal zuckt er auf, das Schmalreh auch; beide äugen mit langen Hälsen dorthin, wo die Dickung eine Zunge in die Wiese schiebt, und ziehen sich eilig zurück, von wo sie gekommen. Am Rand der Dickung erzittern die Zweige, die Spitzen der Jungfichten schwanken, doch es ist windstill, plötzlich wieder eine Bewegung, als ob ein unbekannter Hauch drüber hinginge, Zweige werden erschüttert, dann links davon, noch weiter nach links, eine Bahn von inneren Erschütterungen zieht sich zum Rande hin … Fehsenfeld spannt, denn das muss der alte Bock sein. Auf den starken Ast vor sich kann er den Flintenlauf legen. Da kann er sicher zielen. Wenn der Bock den Hals nur ein Stück freigibt, bekommt er die Kugel, der Jäger Fehsenfeld will nicht noch ein weiteres Jahr hinter ihm herpirschen, sich in dem nassen Gebiet von den Mücken zerstechen, im Dickicht die Haut zerkratzen lassen. Aber der Kerl gibt den Hals nicht frei, er denkt gar nicht daran. Ab und zu sieht der Jäger die Lauscher, die hellen Spitzen des Gehörns,

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