Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Freiburg gefahren. Unterwegs, als sie in Jena Rast machten, war er einsilbig und in sich gekehrt. Paula beobachtete ihren Mann, sie wagte indes nicht, in ihn zu dringen. Sie wusste, was in ihm vorging. Sie wusste, zu Hause angekommen, würde er sich ziemlich schnell nach dem Lehenhof zurückziehen. Ein paar Tage später dann würde er ihr sagen, wie es weiterginge, was ihm durch den Kopf gegangen sei, was er von dem Streit mit Karl May hielte. Sie kennt ihren Friedrich und sie liebt ihn, freilich sei er, dachte sie, ein Polterkopf, ein Sturschädel, impulsiv und häufig unüberlegt, aber zum Schluss habe sie, Paula, noch alles ausbügeln können, was er angerichtet hat, und er sei dann auch zu Kompromissen bereit, lernfähig und einsichtig, sogar ein bisschen Reue zog manchmal in sein Gemüt. Ein Zustand, den sie an ihm besonders liebt. Und sie denkt dann immer an den Bibelspruch, dass ein reuiger Sünder im Himmel willkommener wäre als tausend Gerechte. Ach, wie recht doch die gute, alte Bibel hat. Ja, sie liebt ihren Friedrich, er ist ein liebevoller Vater und ein zärtlicher Gatte.
Dora, die Tochter, las auf der Reise in einem Buch, sie las viel, sogar im Automobil oder bei Tisch, was dem Vater missfiel. Aber sie las kein Buch von Karl May. Sie las im Dschungelbuch von Kipling, eine Ausgabe aus dem Verlag des Vaters. Das stimmte den Vater wiederum versöhnlich, und er erlaubte ihr das Lesen bei Tisch.
Sie hielten sich nur einen Abend und eine Nacht in Jena auf, dann ging es weiter, in Würzburg wollte man noch einmal Halt machen, vielleicht auch in Stuttgart. Drei Tage würde die Reise dauern, vielleicht ginge das Ganze auch in zwei Tagen, aber die Straßen waren schlecht und Tankstellen gab es nicht überall. Werkstätten noch weniger. Bei einer Panne war man aufgeschmissen. Die ganze Zeit betete Fehsenfeld insgeheim, dass ihnen kein Reifen platzen möge, kein Motorschaden das Weiterfahren unmöglich machen würde. Aber nichts geschah, es ging alles gut. Vielleicht hätte ihm das Beten tatsächlich geholfen, dachte er, vielleicht, weil er, der Pfarrerssohn, so selten davon Gebrauch machte. Zu seiner Frau schwieg er davon, ein bisschen schämte er sich, so altmodisch zu sein … Paula war eine moderne Frau, praktisch, nüchtern denkend und zupackend, aus dem Haushalt eines Rechtsanwaltes.
Freitags fuhren die Fehsenfelds in Freiburg ein, und wie es Paula vorausgeahnt hatte, befand sich Friedrich schon am Sonntag oben auf seinem Lehenhof.
Als er aus dem Wagen geklettert war und das Gehöft betrat, fühlte er, wie alles Lästige, alles Störende, alle Sorgen wie ein Ballast von ihm abfielen. Er wusste aber, dieser Zustand hielt nicht ewig vor. Wenn er länger hier blieb, kamen schließlich auch die alten Sorgen nach, beinahe so, als ob sie ihm zu Fuß nachgeschlichen und hier heraufgeklettert wären.
Fehsenfeld streckte sich, gähnte, das Autofahren verkrampfte ihn, den baumlangen Kerl, immer ein wenig, man saß so gekrümmt auf den ewig harten Sitzen, wurde durchgeschüttelt, und jetzt im beginnenden Sommer war es trotzdem noch ziemlich kalt in dem zugigen Automobil – so ging er vors Tor, um in die Landschaft zu schauen und sich in der Sonne zu wärmen. Er war zeitig losgefahren heute. Mit sonnigem Lächeln war der Tag aufgestanden. So schön war es, dass er nicht ins Haus gehen mochte, sondern nach einem Augenblick des Schauens und Staunens kreuz und quer über den Berg zu strolchen begann, sich der vielen Vogelstimmen erfreute und der ersten Sommerblumen. Irgendwo rief ein Kuckuck. Gegen Abend war, er sah es, als er in Freiburg noch einen Spaziergang gemacht hatte, eine weiße Wetterwand hinter den Wäldern Richtung Ehrenstetten aufgestiegen, und er dachte schon, dass es nichts werden würde mit seinem Ausflug nach dem Lehenhof, aber dann war der Mond erschienen und hatte dem Spuk ein Ende gemacht. So wird es also wieder einen solchen Tag geben wie gestern und vorgestern, als sie angekommen waren und er gedacht hatte, wie verschieden doch das Wetter hier im Gegensatz zum Osten wäre, wo er gerade hergekommen, also einen Tag gebe es, dachte er, mit wolkenlosem Himmel, aus dem die Sonne siedeheiß heruntersengt; Fehsenfeld hebt den Kopf, schon jetzt, in der dritten Morgenstunde steht die Luft lau und klar, denn er sieht, es ist gar kein Tau gefallen; nur in den tiefer liegenden Wiesen webt ein dünner Nebel und über der Ferne liegt weißlicher Dunst …
Der Kuckuck ist schon wieder im Gange. Sein Ruf
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