Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
bis zum Nabel von ihr bedeckt, lagen zwei Männer nackt nebeneinander, untersetzt und jenseits der Dreißig der eine, schlank, etwas über Zwanzig der andere. Sonst, außer dem Bett, sah man nicht sehr viele Möbel in diesem Zimmer, ein Nachtschränkchen, eine Kommode, beide weiß und lackiert, auf einer Ottomane nachlässig hingeworfene Kleider, zwei Paar Hauspantoffeln, aber nicht beieinander, sondern wild verstreut, sodass man nicht wusste, welcher Schuh zu welchem Paar gehörte, über einem Stuhl ein seidener hellblauer Hausmantel, auf dem Boden daneben ein Malerkittel, darüber ein Strohhut, ziemlich zerschlissen, in einer Ecke des Zimmers, gestapelt und an die Wand gelehnt, Bilder über Bilder, verschiedenen Formates, verschiedener Techniken, Kohlezeichnungen, Bleistiftzeichnungen, Temperabilder, Ölbilder. Sogar eine Staffelei sah man auf dem Boden neben dem Fenster, nicht aufgestellt, wie ein Haufen unordentlicher Latten lag sie da. Es roch in dem Zimmer nach Farben, nach Verdünnung, es roch aber auch nach Männerschweiß, nach Parfüm, Pomade, nach kaltem Zigarrenrauch und nach Kognak. Von diesem Getränk stand eine Flasche in der Nähe des Bettes, dazu zwei Gläser auf einem hölzernen Tablett, ein Teller mit Essensresten, kaltes Fleisch, ein halb aufgegessenes gekochtes Ei, Eierschalen, Brotreste, ein halber Apfel …
Im Bett die Männer schweigen, ihre Gesichter, verdrossen, zugesperrt, der Jüngere hält die Hände hinter dem Kopf verschränkt, es hat den Anschein, als habe zwischen ihnen ein Streit getobt und nur im Augenblick sei eine Kampfpause eingetreten. Plötzlich macht der Ältere eine versöhnliche, ja beinahe eine zärtliche Geste, er hebt den Arm und will ihn dem Jüngeren um die Schultern legen, dazu brummt er irgendetwas, das wie „nun komm schon“ klingt. Doch der Junge verzieht sein Gesicht, unwillig, böse, und als der Ältere seinen Versuch verstärkt, sogar ein Stück näher rutscht, da springt er, wie er ist, nackt, mit einem missmutigen Grunzen aus dem Bett und geht aufstampfend in Richtung Fenster. Dort bleibt er vor der Gliederpuppe stehen, seinem Freund den Rücken zukehrend, im Gegenlicht der Erkerfenster, von der hereindringenden Sonne, die eine Corona um ihn aufflammen lässt, umflutet; mit leuchtenden Umrissen steht er so, ein Jüngling, athletisch wie eine antike Statue. Der Ältere im Bett richtet sich auf, er ist von diesem Anblick begeistert, der Streit ist vergessen, er ruft: Hellmut, Lieber, bitte, bleib so! Er springt aus dem Bett, jagt in eine Zimmerecke, holt Zeichenblock und Stifte, setzt sich auf den Bettrand, zeichnet, hastig, mit schnellen Strichen, zeichnet, ohne sich anzuziehen, nackt auch er, zeichnet wie im Fieber, murmelt: Göttlich! Einfach göttlich! Hellmut, ich wusste es, du scheinst der Werkstatt des Praxiteles entsprungen, selbst Zeus wäre entzückt; bleib bitte einen Augenblick noch so. Das sind Momente, die Gott für uns bereithält, die Schönheit des Augenblicks, Jahrhunderte, ach was, Jahrtausende, geronnen im Bruchteil einer Sekunde! Bitte, bitte, rühr dich nicht. Ja, danke, oh danke, mein Liebling …
Ein paar Minuten steht der Jüngling tatsächlich, ohne sich zu rühren. Schweigen ist in dem Raum, man spürt die gereizte Spannung bei dem Jüngeren, die wilde Schaffensfreude, die aufgeladene Erotik bei dem Maler. Die Zeichnung nimmt Gestalt an, ein typisches Bild des Malers entsteht, Bilder, wie es von ihm viele gibt, „Männlicher Rückenakt vor dem Fenster“ wird er es später nennen. Mit kräftigen Strichen arbeitet er an den Konturen, schraffiert die Schattenflächen, ist hoch konzentriert, das Gesicht gerötet, ja, er schwitzt sogar ein wenig.
Ohne von der Zeichnung aufzublicken, hat er mit der Linken vom Nachttisch seine Brille ertastet, sie aufgesetzt, in seiner Erregung hatte er die ersten Minuten ohne seine runde, metallgefasste Sehhilfe gearbeitet, jetzt, wo es um die Feinheiten geht, merkt er, er braucht die Brille, es geht nicht mehr ohne. Sascha Schneider ist beim Zeichnen in die Welt seiner Figuren, seiner Symbole, seiner Fabelwesen abgetaucht, es scheint, dass er um sich her, außer dem Objekt seiner Begierde, dort drei Meter vor ihm am Fenster, außer dem Papierblock auf seinen Knien, außer dem Bleistift in seiner Hand, außer der Zeichenkohle nichts wahrnimmt, ja selbst, dass sein Modell ein lebender Mensch ist, scheint er vergessen zu haben:
Seine hellen Augen, aufgerissen und starr, tasten den Jüngling ab, erfassen
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