Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
aufgeweckter Bursche – und das Juristische beherrscht er wie ein Artist die bunten Bälle.
* * *
Am nächsten Tag, gegen zehn Uhr. Während im fernen Weimar der Anwalt Dr. Neumann vor Emma Pollmers Tür steht, noch einmal prüfend an sich heruntersieht, die Krawatte gerade rückt, sich mit zwei Fingern die widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn streicht und die Hand nach dem Klingelknopf austreckt, da klingelt es auch in Radebeul bei Dresden. Und zwar an der Gartenpforte der Villa Shatterhand. Zweimal kurz und einmal lang. Es ist ein altes verabredetes Zeichen, aber ein Spaß nur, May weiß sofort, wer da um Einlass bittet. Es ist sein alter Freund Max Dittrich.
Er springt hinter seinem Schreibtisch auf, eilt hinaus, macht dem Mädchen ein Zeichen, er werde selber öffnen, sie solle nur wieder an ihre Arbeit gehen. Dann knöpft er im Laufen die Hausjacke zu, ruft Klara, die auf der Treppe steht, zu: Es ist nichts, Liebes! Es wird Maxe sein. Mach bitte schon mal eine große Kanne Kaffee, aber bitte schön stark, du weißt, er liebt den Kaffee nur, wenn er besonders kräftig ist. Der Löffel muss drin stehen, ha, ha …
Draußen dann, die Männer umarmen sich, gehen untergehakt zum Haus.
Wie geht’s?
Danke, viel Arbeit, indes noch mehr Sorgen, man müsste die Zeit anhalten können.
Oh, das ist ein wahres Wort …
Aber wie die Freunde sich dann im Arbeitszimmer gegenüberstehen, ist Mays schöne, fröhlich federnde Sicherheit jäh und unerklärbar weg. Das Bärtchen hochgebürstet wie der Kaiser, denkt er, aber dass er sich immer so altmodisch kleidet. Er hat wenig Geld und blass sieht er aus, der Maxe, und das Nazareth-Sanatorium in Blasewitz scheint auch nicht das Wahre – aber das alles überlegt er eigentlich nur so nebenher, flüchtig und unüberzeugt. Ein scheues, dumpfes Gefühl überlagert alles, das lange Verdrängte, das nun unentrinnbar, unsichtbar wie die Luft, die im Zimmer ist, sie beide umgibt, und welches sein Besucher mitgebracht zu haben scheint oder das ihm entwichen ist wie ein altes, giftiges Gas.
Du hast mich wegen der Münchmeyer-Sache sehen wollen? Stimmts? beginnt Dittrich, dessen Stimme ein wenig misslaunig und militärisch knarrig klingt. May will erwidern, er hat mehrere flinke, schöne Sätze, geistvoll und witzig, vorbereitet, denn er liebt es nicht, so schnell und direkt auf die Hauptsache zu sprechen zu kommen, aber die freche, direkte Art windet sich um ihn wie Fesselschnüre, die hellen, forschenden Augen des Freundes lähmen ihn.
Oder ist es nicht wegen den Münchmeyers? Was ist es dann? Heraus mit der Wahrheit!
Und obwohl die Stimme jetzt weniger forsch klingt, schneidet sie wie Hohn, ist in ihr jenes Herrische des Erfahreneren, des Kalfaktors vom Osterstein, und May in seiner guten Haltung, seinem wohlverschnittenen Bärtchen und in seiner modernen Hausjacke mit den silbernen Tressen erscheint merkwürdig klein und gedrückt vor dem schmalen, unansehnlichen Mann, den man für einen Apothekergehilfen oder einen schlecht bezahlten Schullehrer halten könnte.
Setzen wir uns doch, sagt May, er geht zu seinem Schreibtisch und macht die entsprechende Geste. Hinter diesem großen Prachtmöbel fühlt er sich gleich ein wenig besser, aber beim Hinsetzen denkt er, was nur heute mit ihm sei, er könne doch sonst so sicher und überzeugend sprechen, wie behänd hüpfen ihm die Worte von den Lippen, springen an dem Partner hoch, klettern hinauf, schmiegen sich in jede Lücke und schmale Stelle. Warum ist er jetzt so matt und schwach, dass er nicht einmal das unverbindlich Vorbereitete herausgebracht hat, dass er schon nach halben Sätzen, nach Floskeln und nach der Begrüßung verstummt ist. Dabei hat er sich so sehr auf dieses Zusammentreffen mit dem Freund gefreut.
Gewiss, sagt er zu sich, es gehe ihm um die Münchmeyer’schen Raubnachdrucke und die nicht gezahlten Honorare, und was sein Freund darüber wisse, weil der ja eine Zeit nach ihm noch dort gearbeitet habe; aber müsse man dann deshalb so hastig über dieses heikle Thema herfallen wie ein Falke, der sich vom Himmel wie ein Stein auf eine Maus stürzt; nein, er liebt das nicht, denkt er weiter, es raubt ihm die geistige Wendigkeit und auch die Freude – eine solche Sache müsse wie ein Feldzug langsam, gründlich und von allen Seiten vorbereitet werden. Überhaupt, staunt er, wie sich doch das Bild dieses realen Max Dittrich, jetzt hier vor ihm, von dem in seiner Erinnerung unterscheidet. Noch gestern,
Weitere Kostenlose Bücher