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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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als er mit Klara über seinen alten Freund sprach und sich erinnerte, ist alles viel weicher, freundlicher und liebenswerter gewesen, beinahe, als ob das Gedächtnis verschönend und reinigend wirke und all das Grobe, das Eckige und Widersprüchliche in der Grube des Vergessens begrabe.
    Jaaa, sagt May, nachdem er sich umständlich und langsam gesetzt hat, jaaa, wiederholt er gedehnt und abwartend, bis auch Dittrich Platz genommen hatte. Jaaa, wiederholt er ein weiteres Mal, es ginge um diesen verfluchten Münchmeyer, der noch aus dem Himmel Schaden über ihn bringe, und um seine Witwe Pauline ginge es außerdem, die sich als Nachlassverwalterin betätige, sowie um diesen Fischer, den nunmehrigen Nachfolger.
    Aber er, der geprellte Autor, und er, Dittrich, sein Freund und „Kronzeuge“, sie müssten in dieser Sache mit Bedacht und Umsicht vorgehen, am Anfang beginnen, die Zeit ein wenig zurückdrehen, alle Aspekte betrachten, mit der Pedanterie ausgefuchster Archivare oder langgedienter Kriminalbeamter. Indes wäre es auch gefährlich, weil die Münchmeyer ja seine, Mays, dunkle Seite, die Vergangenheit … er flickt die Argumente zusammen, stockend, mit langen Pausen und ohne viel Kraft. Verstummt plötzlich. Er sieht die eisgrauen forschenden Augen des Freundes vor sich, die in dem blutleeren, mageren Gesicht mit dem mächtigen hochgezwirbelten rotbraunen Bart wie die Augen eines Wolfes aussehen, er sieht die gerunzelten, dichten Brauen, die hohe, breite Stirn, senkrecht über der Nase zerschnitten von drei Furchen, und diese Furchen sehen aus wie ein eingegrabenes großes „W“ – nie sind ihm diese Furchen und der durch sie gebildete Buchstabe bei dem Freund aufgefallen, er erinnert sich nicht und es irritiert ihn. Ist das neu? Nein, natürlich nicht, warum aber hat er das früher nie entdeckt, dieses seltsame große „W“, das ihn an eine symbolische, kabbalistische Formel, ein geheimes Zeichen, erinnert. Wenn sein alter Freund jetzt einen schwarzen Kaftan und eine Kappe trüge und wenn sich links und rechts Schläfenlöckchen kringelten, man könne ihn für einen jüdischen Reb, einen Rabbi, halten, der die Fähigkeit besitzt, einem die Zukunft zu weissagen und der zugleich Unglück bringende Formeln ausstoßen kann …
    Sein Gegenüber, sein ehemaliger Zuchthauskumpel Maxe Dittrich aber, macht sich nicht die Mühe, auf die Einwürfe und Ängste irgendetwas zu erwidern. Er schaut May nur an, langsam, mit seinen hellen, scharfen und wissenden Augen, und schweigt.
    Und während dieses Schweigens, das auf einmal eingetreten ist, während dieser schwingenden Spannung zwischen den Freunden, da springt plötzlich und schmerzhaft in Karl May das Verkapselte auf, und die Jahre auf Schloss Osterstein, wie all die anderen Jahre davor und danach, die Zeiten in Waldheim, in denen er der Strafgefangene, der Zuchthäusler, der Verfolgte, der Verfemte und Geächtete gewesen ist, weggeschlossen und eingesperrt, trotz mancher Vorteile, die in seiner Anstelligkeit und musikalischen Begabung gelegen haben – diese ganzen Jahre liegen auf einmal wieder nackt und bloß vor ihm, jenes unbegreifliche und seltsame Stück Leben, das May in den letzten, ja in beinahe dreißig Jahren, geflissentlich, wenn auch gelegentlich mit einem kleinen geheimen Stolz, immer als das Störende und Unpassende, ihn permanent Gefährdende vor sich und aller Welt versteckt hat. Er sieht all die verdrängten Bilder, das verstörte Gesicht des Vaters, das verweinte der Mutter, der Schwester, seines lieben Kantors und vieler noch, sieht die Scham und die Ratlosigkeit in all diesen Gesichtern, sieht sich selbst in seiner entsetzlich drückenden Naivität, der Dumpfheit und dem ziellosen Trotz, sieht sich, den Ausgestoßenen, den an den Rand Gedrängten, und wie es fast keinen Ausweg mehr für ihn gegeben hat und er die Tage nach seiner Entlassung hin- und hergeschwankt ist, einem dünnen Rohre gleich, bis der Vater ihm dann eines Tages den Münchmeyer-Brief in die Hand gedrückt hatte. Den rettenden Brief! Fahr nach Dresden! Was willst du sonst tun?
    Wie von Weitem hört er die Worte des Freundes: Was nützt dir das Wühlen im Dreck? Das alles ist fast dreißig Jahre her. Dittrich hat seinen Freund beobachtet und nun endlich den Mund aufgetan. Mit einem schlauen Lächeln fährt er fort: Ich bin wie ein alter Heidenprophet, ich sollte fluchen, wenn wir von den alten Zeiten sprechen, aber ich muss sie segnen, diese Aufenthalte, denn sie sind unsere

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