Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
verabscheue er jede Gewalt, auch, wenn er immer wieder darüber geschrieben habe, ja habe schreiben müssen, weil die Welt seit Jahrtausenden leider so furchteinflößend sei und sich nicht geändert habe oder noch ändern werde … aber … aber … hier verstummt er aufs Neue, reckt seinen kleinen, alten Körper in die Höhe, aber, fährt er fort und in seinen Augen glimmt kalte Entschlossenheit, aber denjenigen, die sich im Münchmeyer’schen Hause, sei es auf Geheiß des teuren Verstorbenen oder aus eigenem eifrigen Antrieb, an seinen Romanen vergangen, sie verändert und jene, jetzt so unter Kritik stehenden Stellen, hineingeschmiert hätten, o diese Leuten werde er auslöschen, mit allen Mitteln, die ihm zu Gebote stünden … dies sei seine unumstößliche Meinung. Damals, sofort nach seiner Rückkehr aus dem Orient, als er Kunde von diesen Umtrieben erhalten hätte, da habe er zwar beschlossen, zuerst alle juristischen Mittel einzusetzen, einen Prozess gegen die Kloake Münchmeyer zu beginnen. Aber dies sei vor knapp zwei Jahren gewesen. Doch inzwischen, wie Odysseus auf seinem Weg durch den Hades, hätten sich ihm immer neue Schrecken und Spukgestalten in den Weg gestellt, eine immer noch furchtbarer als die andere …
May ist jetzt auf seiner Zimmerwanderung ganz unmittelbar vor dem Freund stehen geblieben, er sieht ihm tief und lange in die Augen, beugt sich zu ihm herab und legt ihm beide Hände auf die Schultern. So auf seinen Kumpel Dittrich gestützt, ruft er klagend aus:
Aber, was soll ich dir sagen, lieber, lieber alter Freund, ich stieß zuallererst bei dem Menschen, dem ich besonders vertrauen musste, von dem ich glaubte, er stünde ganz und gar hinter mir, bei meiner Geschiedenen nämlich, unserer lieben Emma, dieser wahrhaftigen Lady Macbeth, auf einen ganzen Berg von Lügen, Intrigen, Hinterhältigkeiten und Gemeinheiten. Und Maxe, was soll ich sagen: Alle meine schlimmsten Befürchtungen wurden noch übertroffen. Weit übertroffen.
May redet weiter: In Kairo von seinem guten alten Plöhn über die Lage an der „Heimatfront“ unterrichtet, habe er sofort an die Briefe, Verträge und die anderen Unterlagen, den Münchmeyer Verlag betreffend, gedacht und seine Frau Emma, allerdings nicht ohne eine unbestimmt aufkeimende Sorge im Herzen, gefragt, ob denn all die Papiere noch an ihrem Platze, nämlich in der geheimen Lade in seinem Schreibtisch, lägen. Sie habe eifrig nickend dies bejaht, die Verruchte, aber er habe damals übersehen, wie Klara, seine Jetzige, die bei jenem Gespräch in Kairo dabeigestanden, und die damals häufig in seinem Hause, manchmal sogar schon als eine Art Sekretärin fungierte, wie also Klara die Augen aufgerissen, ja sogar erschrocken ihre Freundin Emma angestarrt habe, denn an folgende Szene (von der sie mir wenig später berichtete) hätte sie sich augenblicklich erinnert: Eines Tages, er, May, weilte schon eine Zeit im Orient, sei Emma mit triumphierendem Lachen zu Klara gestürmt und habe ihr eröffnet, dass sie soeben den Trauschein verbrannt habe und mit ihm zugleich alle Briefe und Dokumente aus der Schreibtischlade. Dazu hätte sie wie irre gelacht und sei im Zimmer umhergetanzt, hätte immer wieder ausgerufen, sie werde sich befreien vom Joch, befreien, befreien, juchhej … Leider habe ihn Klara, redet May mit erglühten Wangen weiter, damals im Orient über diese Verrücktheiten nicht informiert. Sie habe geschwiegen. Warum? Er wisse es nicht genau, vielleicht aus Scham, ihre Freundin zu verraten, oder weil sie sich nicht in seine Eheangelegenheiten habe mengen wollen. Sei es, wie es sei – also habe ihn seine Geschiedene damals in Kairo schamlos und aus Gründen, die ihm bis heute nicht so recht aufgegangen wären, auf das Schändlichste belogen. Da ihn aber seine Ahnungen nicht verlassen hätten, habe ihn dann nach der Rückkehr aus dem Morgenlande der erste Weg an seinen Schreibtisch geführt und er habe zu seinem Entsetzen das Geheimfach leer gefunden. Zur Rede gestellt, habe Emma eben jenen Satz gesagt: sie dulde nicht, dass ihrer Freundin Pauline ein Unglück geschehe, sie sei gegen einen Prozess und deshalb habe sie die Briefe und das andere verbrannt. Vom verbrannten Trauschein hätte sie bei dieser Gelegenheit indes kein Wort gesagt, er habe das erst später erfahren. Und was aber tat ich, mein lieber Freund? Wie reagierte der Erfolgsschriftsteller, der mutige und entschlossene Old Shatterhand, he? May ist stehen geblieben. Mit hängenden Armen
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