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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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steht er vor dem Freund, schlaff, mutlos, ein Jammerbild, klein und armselig. Ich tat das, mein lieber Maxe, was ich immer in solchen Fällen getan habe. Ich habe meinen Hut und das Stöckchen genommen und bin an die Elbe gegangen. Dort, am Wasser, sind mir dann die Tränen gekommen, Tränen der Trauer und Tränen der Wut, und ich bin, einem Selbstmörder gleich, der sich ertränken will, durch die ufernahen Wiesen gelaufen mit stierem Blick und habe nasse Füße bekommen. Und wieder einmal ist mir die ganze, liebe Welt als ein schreckliches Jammertal vorgekommen. Dann, das weiß ich noch, kniete ich mich unter eine Trauerweide, keine zehn Meter vom Ufer entfernt, und betete. Ja, ich habe gebetet.
    May, vom Umherlaufen ermüdet, verharrt am Fenster, stützt sich auf das weiße, lackierte Fensterbrett, er schaut in den Garten, hat die Gardine ein Stück beiseitegezogen. Mit leiser, leicht heiserer Stimme murmelt er einen für seinen Freund überraschenden Satz: Ich sage dir, Maxe, wir werden in diesem Jahr eine reiche Birnenernte haben, die Bäume standen im Frühjahr in voller Blüte und die Bienen sind fleißig geflogen, jetzt sieht man sogar von hier oben, wie sich aus den Blüten kleine Fruchtkörper entwickelt haben. Wenn es nur keinen Hagel gibt. Das wäre zu schade. Weißt du, er dreht sich zu dem Freund um, ich liebe diese Birnensorte, habe leider den Namen vergessen, sie stammt aus Bayern, wo ich die Setzlinge vor zehn Jahren gekauft habe, sie hat einen herrlich fruchtigen Geschmack, etwas mehlig, gerade wie ich es liebe … und als er sieht, wie sein Freund etwas entgegnen will, ruft er, nein, nein, Max, die „Helene“ ist es nicht. Gib dir keine Mühe …
    Er geht ein paar Schritte auf seinen Schreibtisch zu, streicht über die polierte Platte, sagt, lass mich dir noch ein paar Kleinigkeiten erzählen, um sodann auf den Punkt zu kommen.
    Die Wochen nach seiner Orientreise, fährt er fort und seine Miene verfinstert sich wieder, hätten sich zu einem wahren Sturm gegen ihn aufgeblasen, die Angriffe der Presse, auch neuerdings solche aus katholischen Kreisen Bayerns, wären immer heftiger und vor allem zahlreicher geworden. May hat sich noch nicht hingesetzt. Wie ein Lehrer am Pult steht er hinter seinem Schreibtisch:
    Stell dir vor, ruft er dem Freund zu, ich soll, so schrieb man, unter dem Mäntelchen von Frömmelei und christlicher Liebe unsittlich und teilweise pornografisch geschrieben haben. Pornografisch! Wie ein Schlag ins Gesicht ist das gewesen, ich bin, als ich solches lesen musste, schwer getroffen worden und habe tagelang weder etwas schreiben noch denken können. Gebetet habe ich, jawohl, tagtäglich gebetet und den Herrn gefragt, warum er mir diese neuerliche Prüfung sendet, und ob es nicht schon genug Prüfungen in seinem Leben gegeben habe, ob ich nicht schon schwer genug an meinem früheren Leben getragen habe.
    Warum hat dies alles kein Ende, warum wird mir kein Frieden gegönnt?
    May ist wieder hinter seinem Schreibtisch hervor mitten ins Zimmer getreten, er hält den Kopf gesenkt und unter den Lidern, so wie er es bei seinen Helden hunderte Male beschrieben hat, unter halb gesenkten Lidern wirft er dem anderen einen schnellen Blick zu. Prüfend, scharf, beobachtend. Doch sein Freund Dittrich sitzt unbeweglich, es ist nicht auszumachen, was ihn bewegt. Und May, in diesem Augenblick, denkt zurück. So haben sie sich auf Osterstein, in Waldheim gegenseitig belauert, nicht nur er und der Dittrich, nein mit anderen auch ist es ihm so gegangen. Man saß beim Essen im Saal oder beim Knüpfen, beim Stopfen, bei all den Arbeiten, man stand im Hof oder in der Schlange bei der Wäscheausgabe und wenn man auch redete, soweit man reden durfte, war da ständig dieses Lauern, wie würde der andere reagieren auf das, was man gesagt, was man soeben erfunden hatte. Gab er ein Zeichen, eines von den vielen verabredeten Zeichen? Oder schwieg er unbeteiligt, ließ einen im Unklaren, blieb die kalte abwartende Rivalität oder hatte man einen Freund, wenigstens einen Kameraden auf Zeit gewonnen? Oh, Max hat sich nicht geändert, dachte May, trotz aller Freundschaft, die beschworen, ist das alte Lauern geblieben, das Starre, Undurchsichtige, das zum Schutz Benutzte, so wie auch ich mich nur wenig oder gar nicht geändert habe, trotz allem der Alte geblieben bin, der Flunkerer, der Erzähler, der Dichter des eigenen Lebens …
    May räuspert sich, fährt fort: Seine Geschiedene aber habe, als er ihr diese

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