Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
seine Augen glimmen hinter den Gläsern der Brille wie blitzende Edelsteine. Einem stolzen Sieger ähnelt er. Fast schreit er, als er fortfährt: Es gibt bis heute zwei Prozesse, einen in Elberfeld und einen in Freiburg, beide aus dem Jahre 1902, wo über die lokale Presse, wie in Elberfeld, zum anderen über einen bis dato ehrenwerten Verlag, den des Herrn Fehsenfeld nämlich, vorgeschickte Freunde, hinter denen ganz offenkundig Herr May selber steckte, Angriffe gegen meine Zeitung und mich begonnen und eine Ehrenrettung für den lieben Volksschriftsteller May versucht haben. Aber es will mir scheinen, dass es noch weitere Versuche und daher folgerichtig Prozesse geben wird, darunter einen, jetzt erst vorgetragen in einer Dresdner Zeitung, den ein besonders treuer Mayfreund namens Dittrich zu verantworten hat. In Elberfeld, meine lieben Freunde, trug es sich zu, dass Mitte Januar 02 ein Artikel in der 14. Ausgabe der Elberfelder Zeitung erschien, in dem ein Ehrenmann namens Friedrich Beutler behauptete, ein anderer Ehrenmann, nämlich Karl May, sei von der Kölner Volkszeitung in einem Akt literarischer Freibeuterei beschimpft und übel verleumdet worden, alle als sogenannte Tatsachen aufgeführten Einzelheiten seien dem verwirrten Hirn eines ultramontanen May-Hetzers entsprungen – damit, meine Herren, war ich gemeint! Der Schriftsteller May sei hingegen, was er beweisen könne, schreibt der brave Friedrich Beutler weiter, ein absoluter Ehrenmann und er, der Artikelschreiber Beutler, stünde ihm ganz und gar freundschaftlich nahe. Umgehend klagten wir auf Beleidigung und siehe da, meine Herren, der ehrenwerte Artikelschreiber gab unumwunden zu, er sei getäuscht worden, und erklärte, er nehme alle Behauptungen mit dem Ausdruck tiefen Bedauerns zurück. Herr May habe ihm offenbar nur
seine
Sicht auf die Dinge, nicht aber die Wahrheit gesagt. Das, liebe Freunde, war Fall Nummero 1. Man lernt daraus, gegen Leute vom Schlage des notorischen Lügners May muss man hart und konsequent bleiben, es lohnt sich. Wir sollten jetzt zum Generalangriff übergehen, die Zeit scheint günstig.
Die Herren schweigen. Eine knifflige Sache. Wenn man hier hineinstochert, wo endet das? Unzucht, Pornografie, Verderb für die Jugend, wider den Katholizismus, wider die Religion sogar – doch lässt sich dies alles auch beweisen? Dieser May ist populär. Jeder kennt in seinem Bekanntenkreis ein paar, die für ihn schwärmen. Er ist zurzeit der Meistgelesene. Nach der Bibel liegt auf beinahe jedem deutschen Nachttisch ein Buch von ihm. Der gute Cardauns hat wohl recht, und wir können seinen heiligen Zorn verstehen, schließlich geht es auch um den Kulturkampf mit dem protestantischen Preußentum, und Cardauns ist ein wackerer kämpferischer Armine, wir wissen das, aber wie packt man es an, ohne sich selber in Gefahr zu bringen? Der Prälat Heidenreich, er ist neu in diesem Kreis und im Grunde ein Parteigänger des am Pranger stehenden May, Heidenreich räuspert sich, seine beringte sehr gepflegte Hand streicht über den roten glänzenden Stoff des Ornats.
Wie öffentlich ist denn das Ganze schon? fragt er leise. Das ganze Kaiserreich in diesen Sumpf schauen lassen, und nicht nur das unsere, sondern auch das Wienerische, solche Courage, meine Herren, will gut überlegt sein. Wer will wissen, wie viele Familien, bedeutende Häupter womöglich darunter, dahinein verstrickt werden, ich nenne nur die Gräfin Eleonore von Beaufort-Spontin, ja May soll sogar im Kaiserhaus seine Anhänger haben, und nicht nur im deutschen, nein, besonders auch im österreichischen. Verfeinden wollen wir uns nicht, meine Herren, wenn man nicht weiß, wo der Feind überall seine Posten hat. Eine knifflige, eine sehr knifflige Sache.
Nun kommt Bewegung in die Runde. Gleich mehrere der Herren werden unruhig, ein paar melden sich zu Wort. Dr. Cardauns, vor dem Tigerfell, ist noch lange nicht fertig mit seinem Vortrag, er hat gerade erst begonnen und er hat sich insgeheim auf manche Formulierung, die er wie eine Wunderwaffe einzusetzen gedenkt, gefreut. Er weiß, seine Reden sind überzeugend und stringent, so schnell will er nicht auf ihre Wirkung verzichten, dennoch, er muss die Herren, seine lieben Gäste, zu Wort kommen lassen, selbst auf die Gefahr hin, manches Ungereimte, Unfertige und Unscharfe zulassen zu müssen. Er weiß, es geht nicht anders, wenn er sein Ziel erreichen will, das Ziel einer Art Femekommission wider den Schmierfinken und Sittenunhold May.
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