Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Leider. Zu dünnes Eis.
Der Redakteur Lebius aber, der dagesessen hatte, als sei er erschlafft und müde, belebte sich wieder und bat aufs Neue ums Wort. Unwillig und zögernd, vielleicht auch, weil ihm dieser Kaufmannssohn aus Tilsit, dieser heuchlerisch unterwürfige Rudolf Lebius in seiner anbiederischen und schmierigen Art zuwider war, erteilte der Gastgeber dem Redakteur das Wort. Wie er gesagt habe, rief der sogleich, sei er drauf und dran, dem May in seiner idyllischen Oberlößnitz nahe zu kommen und sich ihm zugleich auf Umwegen, über seine Geschiedene in Weimar nämlich, zu nähern, denn man wisse ja, nur von den Weibern erfahren wir das wirklich Anrüchige, das Auslöschende, und seine Ehemalige sei ein besonderes Medium, das man wunderbar benutzen könne; er habe außerdem, sprach Lebius weiter, von dem Münchmeyer-Nachfolger Fischer ziemlich Kompromittierendes erfahren. Kompromittierendes, welches bis in Mays Jugend zurückreiche, bis in seine zerrüttete und verrottete soziale Herkunft. Oh, wenn all diese Tatsachen bekannt würden, sei es um den Vielgelesenen geschehen, von einem Tag zum anderen verschwände er von der Bildfläche. Auf Nimmerwiedersehen! Auf Nimmerwiedersehen, Herrschaften, jawohl! Doch, und Lebius hob verschwörerisch die Hände, noch seien diese Tatsachen bei ihm wohlverwahrt und er gedenke seine Munition nicht vor der Zeit zu verschießen, denn es gelte Abschließendes im May’schen Umfeld zu recherchieren, erst dann wolle er zuschlagen, erbarmungslos und vernichtend zuschlagen, und erst dann werde er auch einen solchen Kreis wie den heutigen umfassend informieren. Aber, liebe anwesende Herren, rief der Redakteur, Sie sollten gewiss sein, wenn alles zuträfe, was er bisher erfahren habe, dann sei dieser kleine, krummbeinige sächsische May keine Gefahr mehr. Dann sei er ausgelöscht. Indes, fuhr der Lebius nach einer Pause, in der er sich umständlich und hörbar die Nase geputzt hatte, fort, indes, da gäbe es noch eine andere Sache und die habe, ungeachtet der Einwände des lieben Freundes Porzheimer, in der Tat eine politische Dimension. Eine nicht zu verachtende politische Dimension sogar. Er habe nämlich Kunde von einem neuen skandalösen Werk erhalten, an dessen letztem Kapiteln der Meister gerade arbeite. Im nächsten Jahr werde es erscheinen. Und dieses Buch, verehrte Herren, das prophezeie er ihnen, dieses Buch werde bis zum Kaiserhaus in Berlin größten Unmut und Empörung auslösen, denn es laufe der deutschen Außenpolitik, den deutschen Grundsätzen überhaupt zuwider. Sie alle, rief Lebius in theatralischer Geste, sie alle würden ja das Buch des verehrten Geheimen Hofrates Dr. Josef Kürschner kennen „China. Ein Denkmal den Streitern und der Weltpolitik. Schilderungen aus Leben und Geschichte, Krieg und Sieg“ – ein wahrhaft patriotisches Werk, welches den Sieg der verbündeten Mächte im Chinesischen Boxeraufstand mit vollem Recht verherrliche. Unser May nun aber, ursprünglich von Kirschner gebeten, zu diesem Werk etwas beizusteuern, nähme es jetzt aufs Korn und stelle es auf den Kopf. Soviel er, Lebius, wisse, und er habe einiges von Kürschner selber erfahren, dem May häppchenweise den Text schicke und der sich erst nach und nach zusammenreimen konnte, was ihn da erwarten würde, soviel er also wisse, schriebe May die letzten Kapitel zu diesem Machwerk, welches den lateinischen und großsprecherisch bildungsbürgerlichen Titel „Et in terra pax“ trüge; haltlose Thesen des Pazifismus schmiere der Kerl da aufs Papier, predige Frieden und naivste Völkerverständigung, wo, wie unser Kaiser beweise, Entschlossenheit und militärische Stärke gerade jetzt nötiger sei denn je. Ein Hetzer sei dieser May, ein pazifistischer Hetzer, denn auch der sogenannte Pazifismus sei im Grunde eine intolerante, von den Sozialisten angezettelte Hetze – und er sage den verehrten Anwesenden, tönte der Redakteur Lebius, und seine schleppende Redeweise hatte einen schlürfenden Singsang angenommen, wenn man May bei diesem Kragen packe, dann würden einem sogar die Regierenden wohlgesonnen, und auch seine Majestät, der Kaiser, erführe davon … und mit einem Schlag, wie ein spanisches Inquisitionsgericht, würde ihr Kreis hier angesehen, Lebius breitete die Arme aus, seine Augen rollten bedeutungsvoll, sein Mund zuckte – oder wie der verborgene Rat der Republik Venedig im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert erscheine man dann, mächtig und unheimlich, wie viele
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