Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
seinen alten Kumpel verlassen können. Mit seiner Hilfe würde der Nachweis der Fälschungen gelingen und er, May, würde als Sieger aus dem Prozess gehen.
Als er nun Max Dittrich seinen Plan auseinandergesetzt hat, umständlich und mit allen Absichten und Hintergedanken, steht er hinter dem Schreibtisch auf, geht zur Wand, hebt die Silberbüchse von den Haken und überreicht die Waffe mit ausgestreckten Händen feierlich dem Freund. Auch der ist aufgestanden, er streckt wie sein Freund die Hände aus, nimmt das berühmte Gewehr, feierlich, mit ernstem Gesicht, kein Lächeln zuckt ihm um die Mundwinkel, keine Ironie ist zu entdecken, auch die hellen, großen Augen bleiben ernst.
Dein Wille geschehe, Karl! sagt er, du kannst dich auf deinen Blutsbruder verlassen. Ich werde sie dir alle ausliefern, diese Ganoven, ohne Ausnahme, und dann wird Gericht gehalten. Howgh! Nur aus dem Stegreif jetzt vermag ich es nicht, ich muss in meine Aufzeichnungen schauen, alte Notizen sichten, vielleicht den einen oder anderen befragen. Du verstehst, dass es eine kleine Zeit braucht, Karl …
May versteht, ist doch klar, was so lange geschlummert hat, kommt nicht im Handumdrehn ans Licht, aber er weiß, Maxe, sein Maxe, ist der Richtige, die Idee, ihn um Waffenhilfe zu bitten, war genau richtig, da lässt er sich nicht beirren, auch von seiner Klara nicht. Er nimmt die Waffe wieder an sich, lehnt sie mit dem Schaft an den Schreibtisch. Die Freunde umarmen sich, küssen sich auf die Wangen. In Karl Mays Augen glitzert eine Träne. Eine alte Freundschaft ist eben doch etwas wert. Gott erhalte sie!
* * *
Dämmriges flackerndes Halbdunkel. Nur sieben Kerzen brennen. Die elektrische Beleuchtung hat man ausgeschaltet. Im Hintergrund des geräumigen Salons schwere Möbel. Teilweise mit Schnitzereien und kostbaren Beschlägen. Das Holz des Bücherschrankes und der beiden Kommoden, vermutlich ist es Eiche, glänzt matt. An einer Wand ein prachtvolles Kruzifix, eine bayrische Holzschnitzerei, mindestens 300 Jahre alt. Vorn um die Kerzen, die in wertvollen silbernen Leuchtern stecken, eine Sesselgruppe. Schwer, ausladend, prunkend. Dunkles Leder. Davor ein ausgebreitetes Tigerfell. Der Kopf, sorgfältig präpariert, mit echt wirkenden Glasaugen, bleckt furchteinflößend die Zähne. Man kann sich das Brüllen vorstellen, das aus diesem entsetzlichen Maul im Dschungel Indiens hervorbrach.
In den Sesseln, es sind deren vier und ein doppelsitziges Sofa, sieht man vornehme Herren. Bis auf einen sind alle sechs Herren im Frack oder eleganten Abendanzug erschienen. Ausnahmslos grauhaarige Herren sind es, der Mode gemäß mit gestutzten Bärten, die Hälse in Stehkragen gezwängt, weiße Frackbinden, drei von ihnen mit goldgeränderten Brillen, zwei mit Kneifer, einer mit Stirnglatze und ohne Augengläser. Dieser Letztere, ohne Frack, trägt den rotweißen Ornat eines Prälaten. Die Herren sind alle im gesetzteren Alter, der älteste über die sechzig, der jüngste dreiundfünfzig. Man raucht. Schwere Zigarren. Einer hält eine Zigarette mit Porzellanspitze in der Hand. Man sieht den prächtigen Siegelring, wie ihn sonst nur Kardinäle tragen. Der Ringträger ist der Prälat. Kognak in kristallenen Gläsern steht auf einem kleinen fahrbaren Tischchen bereit. Bernsteinfarben funkelt er, von den Kerzen geheimnisvoll beleuchtet.
Der Gastgeber, auch er bärtig, auch er mit goldgeränderter Brille, das linke Ohr etwas abstehend, hat sich erhoben. Sein Gesicht zeigt einen strengen, fast wütenden Ausdruck. Man hört den schnaubenden Atem. Mit gebremstem Bedacht hat er seine Zigarre auf den Rand des kristallenen Aschers gelegt.
Jetzt geht er dozierend, sich langsam steigernd, mit den beringten, sehr gepflegten weißen Händen seine Rede illustrierend, vor den Sitzenden auf und ab, dabei vermeidet er auf das Tigerfell zu treten. Macht davor bei jeder Runde einen eleganten Schwenk. Halblaut spricht er, dieser Herr, und seine Stimme ist wohlklingend tief, mit einem schwingenden Timbre, man hörte sie, auch wenn er noch leiser spräche, im ganzen großen Raum. Eine Stimme, die trägt, eine Stimme, die man im Kölner Abgeordnetenhaus noch im Gedächtnis hat. Eine Stimme, bekannt im Redaktionskolleg der „Kölnischen Volkszeitung“. Es ist die Stimme von Hermann Cardauns, Chefredakteur des bekannten katholischen Blattes. Er hat an diesem Abend ein paar Freunde eingeladen.
Vor dem Tigerkopf stehen bleibend, schweigt er einen Moment, wie um
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