Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
Man muss klug und bedacht vorgehen, gewiss, er liebt das nicht, er mag den Parforceritt, das Draufloshauen, aber sollen sie erst einmal reden, seine Freunde, sollen sie sich ihrer Gedanken und Ideen entledigen, er wird das Ganze zum Schluss dann schon in die von ihm gewünschte Richtung bringen.
Sehr fern von den Erwägungen unseres lieben Prälaten und Freundes Heidenreich, erwidert ein kleiner, etwas dicklicher Mensch mit Kneifer und Oberlippenbärtchen, er heißt Lebius, Rudolf Lebius, ist Journalist und Herausgeber, Parteigänger wider die Sozialdemokraten, und man sieht ihm an, mit welcher Mühe er sich in seinen Frack gezwängt haben muss, ein abgeschabtes speckiges Stück, vielleicht aus dem Leihhaus. Sehr fern von solchen Erwägungen, wiederholt Herr Lebius und er zischt dabei, Speichel tröpfelt aus den Mundwinkeln, sehr fern … nein, nein, er sei nicht der Meinung, dass man genötigt sei, irgendwelche Rücksichten zu nehmen, Dreck sei Dreck und eine Schweinerei bleibe eine Schweinerei. Wohl sei es eine betrübliche Sache, dass so viele unserer jungen Leute, unserer christlichen Jugend, und auch Mädchen, junge Frauen, sogar sittsame Ehefrauen, christlich Getraute sich mit diesen Schriften infiziert hätten und dem Verführer nun sozusagen literarisch verfallen wären. Aber diese Tatumstände griffen zu kurz. Um einen Mann wie diesen May zur Strecke zu bringen, dürfe man sich nicht auf so schwammige Begriffe wie Unsittlichkeit, Unmoral oder Pornografie verlassen. Da müsse man ganz anders herangehen. Sozusagen politisch. Denn heutzutage sei ja alles sofort politisch. Nur die politische Dimension verspräche Erfolg. Jawohl! Er, Rudolf Lebius, werde sich in die Nähe dieses Autors wagen, schließlich betreibe er eine Zeitung in Dresden, er könne ihm also ganz nahe kommen, dem May, müsse sozusagen seinen Geruch erschnüffeln, und allmählich bekäme er ein Gefühl dafür, was diesen Menschen antreibe, und er beginne auch zu ahnen, wie man ihm beikommen könne …
Doch Lebius schwieg plötzlich, wie ein Karpfen schien er nach Luft zu schnappen, er wollte noch weiterreden, doch ein anderer Herr, der breitbeinig, korpulent und ungeduldig auf dem Doppelsitzer gesessen hatte, war ihm in die Rede gefallen. Mit kaltem Fanatismus entgegnet der Geheimrat Dr. Porzheimer, er brauche den weisen und strengen Herren, die hier versammelt seien, nicht zu sagen, dass sie sich nicht zusammengefunden hätten, um Politik zu treiben, sondern nach den Regeln des deutschen Rechts zu suchen, wo der modus operandi läge, an welchem Zipfel er zu fassen wäre, dieser Herr May. Alles andere sei Geschwafel, denn es gelte nicht, staatsklug zu sein, sondern nur, ohne Ansehen der Person, das gebrochene Recht aufzuzeigen. Wenn man siegen wolle, dann doch nur auf diese Weise.
Gemurmel entstand unter den Herren. Dr. Cardauns senkte den Kopf, er blickte auf den Tigerkopf zu seinen Füßen und runzelte die Stirn. Genau diese Richtung hatte er nicht gewollt, ach der gute Porzheimer, er sei eben durch und durch Jurist, er könne nur an seine Paragrafen denken, wiewohl er natürlich recht hätte, wirklichen Erfolg brächte am Ende nur der Nachweis handfester Rechtsverstöße. Wer wüsste das nicht. Doch vielleicht, vielleicht … und es blitzte ein Gedanke in ihm auf, vielleicht sollte man den bevorstehenden Münchmeyer-Prozess, also tatsächlich etwas Juristisches, gegen diesen May nutzen, darauf alle Kräfte bündeln. Und Cardauns beschloss, diese Idee zu verfolgen. Ja, diesem Adalbert Fischer, dem Münchmeyer-Nachfolger, müsse man den Rücken stärken. Ein Stellvertreterkrieg wäre immer noch das Beste. Er, Cardauns, liefere die Waffen, die Ideen und Strategien, und die anderen schlügen aufeinander ein. Famos! Und der Gastgeber straffte sich, übermütig und mit einem maliziösen Lächeln stieß er mit der Fußspitze gegen den Tigerkopf, auf eine gute Idee hätte ihn der Jurist Porzheimer da gebracht, auf eine wirklich gute Idee …
Die Herren sahen sich an, erspähten prüfend heimliche Hintergedanken, suchten geheimes Einverständnis einer im anderen. Auch sie fingen an, den Porzheimer’schen Gedanken aufzugreifen, ihn wie ein Samenkorn zu nähren, zu begießen. Ja, das wäre es, so ginge es – es gelte die Sünden des Schriftstellers May auf ihre strafrechtliche Relevanz abzuklopfen, eine Ausdehnung auf das Politische indes, wie dieser Lebius vorschlug, berge unabsehbare Folgen und Unwägbares. Das müsse man wohl fallen lassen.
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