Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
nicht gerade liebt, der aber wichtig ist, von dem er sich einiges verspricht. Die Fischers haben sich per Postkarte angemeldet, Adalbert Fischer, der Münchmeyer-Nachfolger, und seine Frau.
Karl May, am Schreibtisch, schaut rüber auf die Standuhr. Das Ziffernblatt blendet wie gleißendes Gold, die Strahlen der Herbstsonne spiegeln sich in ihm. Klik-klak-klik-klak, der Perpendikel fährt einem Metronomstab gleich hin und her, klik-klak-klik-klak, unbeirrt, in gleichem Takt. Die Zeit, was ist sie doch für ein sonderbares Ding, denkt May. Ewig schreitet sie fort, ohne Rücksicht auf uns Menschen, die wir doch so manches Mal verharren, ein wenig ausruhen, verzögern wollen. Und gerade jetzt hätte er sie gerne angehalten, die Zeit. Er will sich ein wenig sammeln, überlegen, wie er es anstellen soll, dem Fischer das Maul und vielleicht sogar das Herz zu öffnen. Wenn er gegen die Pauline Münchmeyer prozessiert, braucht er noch mehr Fakten aus dem feindlichen Lager, und der Fischer könnte sie ihm liefern. Damals in Schleyers Weinstuben, vor einem Dreivierteljahr, da habe er noch nicht alles erfahren. Er muss ihn ausquetschen, diesen Fischer. Doch wie stellt man es an, wie horcht man sie aus, diese Leute, ohne selber allzu viel preiszugeben? Er hat schlecht geschlafen, letzte Nacht, hat sinniert und nachgedacht, ist zeitig aufgestanden, im Garten und dann im Haus umhergewandert, aber das Rechte ist ihm nicht eingefallen. Auch Klara hat ihm nicht helfen können, sie hat nur gelacht und gesagt, man werde sich auf die Intuition verlassen müssen. Doch, das ist was Unsicheres, Herzle, hat er geantwortet, etwas ganz und gar Unzuverlässiges. May tastet suchend über seinen Bauch, er zieht aus der Weste die Taschenuhr. Dann blinzelt er noch einmal zur Standuhr. Nichts zu machen, die Sonne … Man kann die Zeiger nicht erkennen. Mit einem Seufzer hebt er die silberne Taschenuhr vor die Augen. Oh ja, es geht schon auf zehn Uhr. Nur noch ein paar Minuten. Der Besuch wird gleich kommen. May steht vom Schreibtisch auf, schiebt die Stores zur Seite und tritt von seinem Arbeitszimmer hinaus auf den Balkon. Er späht nach links die Straße hinunter. Man kann sie schlecht einsehen, die Kirchstraße, obwohl sie halbwegs gerade verläuft, Bäume versperren die Sicht. Halt, da kommen zwei Menschen, ein Mann und eine Frau, ein Paar, das könnten die Fischers sein. May duckt sich hinter die Balkonbepflanzung. Also sind sie zu Fuß gekommen, denkt er, nicht mit einer Droschke, wie man vermuten konnte. Sie werden mit der Straßenbahn bis Mickten gefahren sein, die geht ja jetzt bis dahin, und dann ein Fußmarsch von drei Kilometern. Oh, das geht in die Knochen, ha, ha. Und warm wird ihnen auch geworden sein, so wie sie sich angezogen haben, beide im Mantel, beide mit Kopfbedeckung, er mit einem breiten dunklen Hut, sie mit einem modischen Hütchen, auf dem eine schwarze, gebogene Feder wippt. Jetzt sind sie nur noch dreißig oder vierzig Meter entfernt. May hat gesehen, vor jedem Hauseingang sind sie stehen geblieben, haben auf die Namensschilder und auf einen Zettel geschaut. Wahrscheinlich steht da seine, Mays, Adresse drauf. Jetzt zeigt der Mann, oh ja, es ist Adalbert Fischer, kein Zweifel, sogar das Gesicht kann man erkennen, dieses rundliche blasse und bartlose Apothekergesicht, er zeigt mit ausgestrecktem Arm auf die Villa Shatterhand und er ruft seiner Frau etwas zu, die bei einem, dem übernächsten, Grundstückseingang wartend stehen geblieben ist. Was der Fischer sagt, kann May, der sich noch tiefer hinter der Balkonbepflanzung geduckt hat, nicht genau verstehen. Es klang wie – da wohnt er, dort schau die weiße Villa.
In ein paar Minuten werden sie an der Pforte klingeln. May geht schnell zurück in sein Arbeitszimmer, leise schließt er die Balkontür, zieht hastig die Stores vor, steht stille, wartet, lauscht, hält den Atem an.
Es dauert dann doch eine Weile, bis der Besuch am Tor der Villa angekommen ist. Es ist May viel länger vorgekommen, als er vermutet hat. Er hört die Stimme des Mädchens.
Ja, einen Augenblick, ich werde die Gnädige Frau holen.
Die Fischers warten in der Diele. May hört, wie Klara, die bei ihrer Mutter im Obergeschoss gewesen ist, die Treppe herunterkommt. Die Holzdielen knarren leise. Er hört, wie Klara an seinem Zimmer vorüber geht und leise das Zeichen gibt: An der Türe kratzen ist das verabredete Signal. Dann Klaras Stimme: Oh, wie freue sie sich. Einen recht schönen guten Tag in der
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