Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
aber lebenswichtigen Umstände säuern mir das Gemüt wie Lab die Milch, sodass ich, bitte verzeihen Sie mir, an Gott gar nicht denken kann. Ich weiß, Schneider hebt die Hände, das ist falsch und womöglich eine Sünde: Ich sollte mehr an Gott denken, das ist wahr, ihn bitten, wie Sie, aber ach … Der Maler winkt resigniert ab, fällt in brütendes Schweigen. Denn auf einmal schämt er sich, so weit gegangen zu sein und dem Berühmten von seinen Sorgen gesprochen zu haben, und ihm fällt Lilly, die Schwester, ein; o Gott, denkt er, vielleicht glaubt May sogar, ich wolle ihn anbetteln. Bitte, Herr May, fügt er daher an, ein wenig kläglich wie ein ertappter Schüler, verstehen Sie mich um Gotteswillen nicht falsch, ich wollte Sie nicht mit meinen materiellen Nöten belästigen, den Eindruck von Bettelei nicht … wieder hört er abrupt zu sprechen auf.
Und der Maler schämt sich jetzt noch mehr, als er sieht, wie die Frau Klara ihren Karl anblickt, denn unverkennbar hat er Mitleid in ihrem Blick gesehen. Karl, so hilf doch, sagten ihre Augen, und May, der schweigend dasitzt und von seiner Zigarre die Asche herunterkratzt, weiß, was seine Frau ihm sagen will. Auch ihm ist es peinlich, wenn auch aus gänzlich anderen Gründen, er will helfen, er weiß das, aber er möchte den Mäzen nicht so plötzlich herauskehren, will und muss noch nachdenken. Ihm muss etwas einfallen, eine Art Auftrag, etwas Offizielles. Er weiß nur nicht genau was. Reagierte er jetzt sofort, dann wirkten des Malers Klagen tatsächlich wie Bettelei, und das will er seinem neuen Freund nun doch nicht zumuten.
So hüllt er sich zunächst in Schweigen, nickt nur ein wenig traurig zu den Reden Schneiders, sagt dann, sprechen wir vielleicht erst einmal von etwas anderem, lieber Freund …
Indes, Karl May, der Listige, verstellt sich. Er hat eine Idee, nimmt eine Fähigkeit an, die er in Osterstein, in Waldheim und Mittweida, in den Gefängnissen, seinen Universitäten, erworben hat, die dort ums Verrecken nötig war, eine Eigenart, die auch in der Verschlagenheit der Bauern seiner sächsischen Bergheimat wurzelt und die May inzwischen gut beherrscht, eine Gerissenheit, mit der er auch seine literarischen Helden ausgestattet, ihnen Schläue und Durchtriebenheit verliehen hat, wenn sie mit Indianern oder Beduinen oder sonst wem verhandeln. Seine Augen verengen sich, die Mundwinkel zucken, er lächelt sonderbar, man sieht ihm zwar an, dass er etwas verbergen will, denn er ist in diesen Fällen immer eine Spur zu freundlich oder zu traurig oder zu nachdenklich, aber man kommt nicht dahinter, was es ist, und so errät der Maler in diesem Augenblick auch nicht, was sein Geistesbruder denkt. Zwar hofft er das Naheliegende, nämlich, May werde ihm helfen, schon frohlockt er und das Herz hüpft ihm, ja vielleicht werde er ihm einen großen Auftrag geben, irgendetwas ganz Besonderes werde er für ihn malen, bestimmt, so wird es sein – aber der Maler Schneider ist trotz all seiner sonst herausgekehrten Forsche, trotz seiner trotzigen, wütenden Entschlossenheit, die man ihm stets zutraut, ein weicher, melancholischer Mensch, er ist das Gegenteil von dem, als der er erscheint. Und so wagt er nicht in seinen neuen Freund zu dringen, ihn etwa direkt zu fragen, er geht stattdessen auf dessen Vorschlag ein, sagt leise und mit heiserer Stimme:
Gut, Herr May, reden wir von etwas anderem, reden wir von …
Da huscht ein winziges Aufblitzen über Mays Züge. Jaaa, unterbricht er den Maler, reden wir von Wilhelm Kreis. Sie kennen den Architekten? Kennen seine neuesten Arbeiten?
Alles hätte Schneider erwartet, nur nicht diese Frage. Er ist perplex. Weiß May von dem heutigen Abend bei Kreis? Kennt er die Überraschung, die der Architekt mit seiner, des Malers, Person beabsichtigt?
Der Maler ist blass geworden, dennoch fängt er sich, sagt, ja, den Wilhelm Kreis kenne er ein wenig, er sei ihm, seit der Professor an der Kunstgewerbeschule sei, auch durch die Bekanntschaft mit Paul Wallot, ein paar Mal begegnet und jetzt biete sich sogar die Möglichkeit einer Zusammenarbeit, was ihn freue. Schneider beugt sich vor, hüstelt.
Welches denn der Charakter der Zusammenarbeit sei? fragt May, und es kommt Schneider vor, als zwinkere er mit einem Auge, mache sich lustig. Ob es da ein Geheimnis gäbe? fragt May weiter und wirft einen Seitenblick auf seine Frau. Kreis sei ja ein Mann voller sprühender Ideen, von ansteckendem Witz, der gern einmal seine Freunde
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