Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)
es!
Ein Raunen war in dem Bilderkabinett Wilhelm Kreis zu hören, ungläubiges Staunen sah man, aufgerissene Augen, vorgereckte Hälse, halb offene Münder. May hatte sich auf sein Stöckchen gestützt und seine Augen zugekniffen. Er fixierte das Bild, griff sich an sein Kinnbärtchen, hüstelte. Auch die Malerkollegen Unger und Müller gafften, konnten es kaum glauben. Hatte es sowas schon je gegeben? Ein Bildertausch, ein Raub beinahe, um den Staat zu täuschen?
Meine Freunde, Sie stehen vor dem Original!
Kreis trat einen Schritt vor, streckte den Arm aus. Fast berührten seine Finger die Leinwand. Was ist es, was unseren höchsten Beamten so aufregt? Was, liebe Freunde, sehen wir? Wir sehen eine Streitmacht – fast das ganze Bild füllend –, wie sie über einen Hügel heraufgezogen kommt: Priester, Athleten, Könige, Arbeiter, Greise und Jünglinge, ein völkischer Querschnitt, alle verschiedene Waffen tragend. Von einer roten Fahne überweht, stehen die Männer im Vordergrund; neben ihnen im Vordergrund ein Knabe, der ein metallenes Becken hochhält und offenbar soeben einen Klang erzeugt hat. Hinter ihnen, in entrückter Ferne, sieht man die Höhenzüge eines weiten schönen Landes. Bis auf den Knaben, der unbekleidet ist, tragen alle Figuren Mäntel und Trachten, die an altrussische Folklore erinnern. Das Bild macht einen drohenden Eindruck, es ist wie die Vorahnung einer Revolution … und dieser Eindruck ist es, diese Vision, liebe Freunde, die unser lieber Schneider hier ganz bewusst heraufbeschwört, dieses Fanal scheint es zu sein, was unseren höchsten Beamten und seine Berater irritiert hat. Mir ist hinterbracht worden, dass Ausstellungsbesucher, womöglich Linksliberale oder Sozialdemokraten, ganz genau wie die Figuren des Bildes, ihre Fäuste geballt und umstürzlerische Parolen ausgerufen haben sollen, während unser normaler sächsischer Bürger, der durchschnittliche Dresdner also, kopfschüttelnd und das Bild kaum beachtend daran vorbeigegangen sei. Ich vermute, etwas Ähnliches hat auch der Minister Metzsch erfahren, weshalb sie das Bild entfernen oder umhängen wollten …
Kreis bricht ab, verschränkt die Arme vor der Brust, tritt einen Schritt zurück, ganz so, als betrachte er in seinem Atelier einen Denkmalentwurf. Sascha, was sagst du dazu?
Doch der Maler schweigt. Er macht ein finsteres Gesicht. Er beobachtet seine Malerfreunde, er schaut zu Karl May, zum Grafen Hardenberg. Keiner scheint erfreut. Nein, die ganze Aktion, nun da sie durchgeführt und bekannt gemacht ist, gefällt ihm nicht. Ein Künstler wie er hat solche Partisanenaktion nicht nötig, nur der jungenhaften forschen Überredungskunst von Kreis ist er erlegen, für den Augenblick war er begeistert, denen wollte er es zeigen, denen, die ihn abgelehnt haben, von denen er den Wisch bekommen hat, dem Sterneck und dem Metzsch vor allem, und auch die Kopie hat er noch mit Elan und in großer Geschwindigkeit zustande gebracht, ohne zu irgendwem ein Wort zu sagen. Doch jetzt? Wer ersetzt ihm die vertane Zeit und das verschwendete Geld?
Beinahe verschämt steht er neben seinem Werk. Schämt sich wie ein Schuljunge, der eine Dummheit gemacht hat.
Also schweigt er, senkt die Augen. Kreis, mit einem Blick, überschaut die Gesellschaft.
Jäh reißt er das Ruder herum, sagt, gehen wir zurück in den Salon, dort haben wir mehr Platz, können uns setzen, können in Ruhe reden über alles. Und er geht als Erster, langsam, gesenkten Kopfes, durch die Wandkacheltür.
Klara May, benommen von dem Gesagten, verharrte noch eine Weile vor dem Bild. Ja, dachte sie, es geht etwas Anrüchiges, Verbotenes von dem Bild aus. Das ist nicht abzustreiten. Dafür hat sie ein unbeirrbares Empfinden. Sonst gefallen ihr die Bilder des jungen Malers Schneider, aber dieses hier … Es stößt sie ab, dieses Bild, und es zieht sie gleichzeitig an, es ist wie eine schaurige Schönheit. Es hat ihr schon in der Ausstellung nicht gefallen, wie sie es das erste Mal gesehen hat, sie hat davor gestanden mit einem Unbehagen, und sich dem Karl zuliebe ein wenig verstellt, um ihm nicht die Freude zu verderben. Nein, aber jetzt hier in dem kleinen Raum erdrückt es einen fast, man fürchtet sich regelrecht. Hedwig Kreis, die Gastgeberin, ist neben ihrer neuen Freundin stehen geblieben. Halblaut und wie zu sich selbst, sagt sie: Dieses Bild ist trotz alledem oder vielleicht gerade deswegen ein ansehnliches Stück Malerei, es wird Bestand haben vor der Welt. Aber
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