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Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition)

Titel: Die Geistesbrüder: Karl May und Sascha Schneider Roman einer Künstlerfreundschaft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Funke
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Schneider steht an der Wand, er hat den Kopf in die Hände vergraben, man kann nicht sehen, ob er weint, aber sein Körper erzittert bei jedem May’schen Wort. Auch der Weltreisende und Schöngeist Graf Hardenberg lauscht mit großer Spannung, er hält seine russische Tänzerin im Arm, man kann nicht ausmachen, ob die jedes Wort richtig versteht, aber ihre Augen schwimmen in feuchtem Glanz. Der Architekt Kreis, die Arme vor der Brust verschränkt, ist wie der Maler Schneider stehen geblieben. Konzentriert hört er zu, zwei steile Falten auf der Stirn, er denkt an den weiteren Abend, was er noch vorbereitet hat, an einen Tanz der Russin, an ein Abendbüffet, und er ist überrascht, denn mit einer solch tiefgehenden Rede seines Ehrengastes hat er nicht gerechnet, vorsichtig hebt er den Kopf, schaut zu seiner Frau Hedwig. Sie sitzt mit Klara May auf einem der niedrigen Diwane. Die Frauen haben ihre Köpfe aneinandergelehnt, zärtlich, in großer Übereinstimmung, sie sind ergriffen, eine, es ist Klara, tastet nach ihrem Tränentüchlein. Sogar der Schauspieler Kumpfmüller hat seine Frozzeleien eingestellt, in sich gekehrt sitzt er neben einem der Springbrunnen und hält versonnen eine Hand ins Wasser. Nur der Maler Müller ist unzufrieden, ihm stinkt dieses gefühlsduslige Gesäusel, wenn er so etwas hören muss, bekommt er sein Sodbrennen. Die religiösen Stellen in den Büchern dieses May hat er immer schon überlesen, es kommt ihn sauer an, er wendet sich ab, steht auf, geht zu einem der Fenster, schaut hinaus in den Abendhimmel, der düster und bewölkt ist. Keine Sterne zeigen sich, auch der Mond nicht. Ein mieser, ein trauriger Abend.
    Ich habe, fährt May indessen fort, wie jeder andere Mensch, ein äußeres und ein inneres Leben. Beide sind auszugestalten, damit sie zur Persönlichkeit werden, damit man den steilen Weg nach oben schaffen kann. Viele bringen es nie zur inneren Persönlichkeit, ja leider mancher nicht einmal zur äußerlichen … May lächelt und schaut zu seinen Zuhörern.
    Ich sage, es führen drei Wege hinauf: Es ist die Wissenschaft, es ist die Kunst und es ist die Religion. Die Wissenschaft bringt uns die Erkenntnis, die Kunst die Offenbarung, die Religion aber bringt die Erlösung.
    Ich bin seit Jahren schon auf dem mittleren Weg – auf dem Weg der Kunst, und daher spreche ich zu Ihnen nur als Schriftsteller, als unbefangener Laie, der mit jedem seiner Bücher ein Stück nach oben kommt, der mit jedem dazugelernt hat, der nichts erstrebt als nur das eine große irdische Ziel: „Und Friede auf Erden!“ Dieser Satz, der Titel meines neuesten Buches, ist mein derzeitiger Höhengipfel, den ich erklommen habe. Höher als der höchste Achttausender! Ich stehe auf diesem Gipfel und schaue ringsum: Wer wird mir nachfolgen? Wer wird gleich mir diesen Gipfel ersteigen? Aber ich sehe mit Bedauern, es sind keine Scharen, die mir nachfolgen, es sind nur einzelne wenige Entschlossene, Mutige. Einer, den ich erkennen kann, ist mein Freund, der Maler Sascha Schneider!
    May macht eine kleine Pause. Sascha Schneider steht noch in seiner Stellung, den Kopf mit den Händen verhüllt. Jetzt sieht man, er weint tatsächlich. Aber außer May schaut keiner zu ihm hin, sein Schmerz scheint unbemerkt. Alle blicken unverwandt zu dem Redner. Große Verehrung, Verklärung erkennt man auf den Gesichtern …
    Karl May spricht weiter: Also, liebe Freunde, auf dem Pfad der Kunst, mit den Mitteln der Poesie wollte ich empor auf dem beschworenen Pfad. Was aber ist Poesie? Ich versuchte es in „Und Friede auf Erden“ zu sagen. „Jeder Dichter ist zugleich Seher. Wer nicht Seher ist, kann auch nicht Dichter sein! Schaut in die Heilige Schrift! Wie oft beginnen die Reden der Propheten: „Und ich sah“ oder „Und ich hörte eine Stimme“. Dem wahren Dichter kommt aus einer Welt, die mit der unsrigen zusammenhängt, die aber nur ihm zugänglich ist, manche sagen: aus seinem Unterbewussten, auf leisen Schwingen schön gebor’ne Kunde. Er nimmt sie auf; er gibt sie weiter, und wer sie hört, der wird von ihr berührt, als sei sie ein Gedicht aus dem Munde eines höheren Wesens. Das ist die Poesie, die aus dem Himmel zu stammen scheint. Kein Geist, kein Mensch kann sie uns niederbringen. Dort oben, wo das Meer des Lichtes flammt, muss jeder Strahl in goldenen Reimen schwingen.“ So ähnlich schrieb ich also, verzeiht mir, wenn ich hier nicht wörtlich zitiere. Aber ich sehe an euren Gesichtern, dass ihr versteht, was

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