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Die Gejagte

Die Gejagte

Titel: Die Gejagte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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Felsendecke waren ein paar Öffnungen wie Oberlichter oder Schornsteine, durch die der Mondschein sickerte. Sie betrachtete sie eine Weile.
    Schließlich konnte sie nichts weiter tun, als abzuwarten  – und sich Sorgen zu machen. Was geschah in der Zwischenzeit mit Tom?, fragte sie sich.
    Denk lieber über das Rätsel nach, befahl sie sich energisch. Es lenkt dich ab und könnte nützlich sein.
    Ich bin einfach zwei und zwei,
Mal kalt, mal heiß dabei,
Hab ich Kinder ohne Zahl.
Bin ein Geschenk für alle Zeit
Oder nur ein Zeitvertreib.
Geraubt gibt man mich ohne Qual.

    Plötzlich hatte sie es. Ja! Etwas, das heiß und leidenschaftlich oder kalt und unpersönlich sein konnte. Etwas, das Kinder ohne Zahl hatte – weil es wahrscheinlich der Ausgangspunkt für unzählige Babys war. Etwas, das einfach zwei und zwei war – zwei Lippen, die zwei andere Lippen berührten.
    Ein Kuss.
    Jenny lächelte triumphierend. Sie hatte das Rätsel gelöst. Sie konnte einen der anderen befreien.
    Natürlich war es keine Frage, wer das sein würde. Sosehr sie ihre Freundinnen liebte, Tom würde immer an erster Stelle kommen.
    Das einzige Problem, das die Lösung des Rätsels mit sich brachte, war die Tatsache, dass sie jetzt nichts mehr hatte, worüber sie nachdenken konnte – außer der Frage, was mit ihr geschehen würde. Der Elf, der fortgegangen war, hatte »Erlkönig« gesagt. Der Erlkönig? War er derjenige, auf den sie wartete?
    Welche Entstellung der Erlkönig wohl haben würde?, überlegte sie. Hufe? Hörner?
    Wenn er der König ist, sieht er wahrscheinlich noch schlimmer aus als all die anderen, dachte sie, und ihr wurde kalt ums Herz.
    Da drang jemand durch die Lücke in der Felswand und Jenny wappnete sich. Im nächsten Moment begriff sie, wie angespannt sie war.
    Er trug eine weiße Tunika, Kniehosen und weiche weiße Stiefel – ein Outfit, das hervorragend zur Geltung
brachte, wie geschmeidig und muskulös er war. Im Mondlicht schimmerte sein Haar silbrig wie ein Spiegel und er lächelte.
    »Julian.«
    »Willkommen«, sagte er, »in der Burg des Erlkönigs.«
    Bei ihrer letzten Begegnung war Jenny zornig auf ihn gewesen. Aber jetzt fiel es ihr schwer, sich daran zu erinnern. Das weiße Leder sah so weich aus und es schmiegte sich um seine Hüften und seine Schenkel. Und ein Junge, der einen mit den Augen eines ausgehungerten Tigers ansah, hatte etwas. Mit einem Mal fühlte Jenny sich beunruhigt.
    Tom sah in seinen normalen Klamotten immer sehr gut aus – aber er war sehr konservativ und wollte sich nicht einmal an Halloween verkleiden. Julian dagegen hatte offensichtlich ein ungeheures Vergnügen daran.
    Sein breiter, mit Saphiren verzierter Ledergürtel zeigte, wie flach sein Bauch war, und betonte seine schmalen Hüften. Jenny wünschte, sie hätte auch so einen Gürtel gehabt.
    »Der Erlkönig, hm? Genießt du die Rolle?«
    »Sehr«, versicherte Julian ihr ernst.
    »Zumindest redest du in diesem Albtraum mit mir. Ich meine, nicht wie in dem Ufo-Traum.«
    »Jenny. Meine größte Freude wäre es, die ganze Nacht mit dir zu reden.«
    »Vielen Dank, aber da gibt es ein Zeitlimit und ich hätte lieber meine Freunde zurück.«
    »Sag das Wort.«

    Jenny sah ihn verblüfft an, dann begriff sie, welches Wort er meinte. »Nein«, antwortete sie. »Ich wähle die harte Tour. Wir werden sämtliche Albträume durchstehen. Und wir werden das Spiel gewinnen.«
    »Ich bewundere deinen Optimismus.«
    »Du kannst meinen Erfolg bewundern – und gleich damit anfangen. Ich habe nämlich dein Rätsel gelöst, du Chauvinistenschwein. Denn er wird nicht ohne Qual gegeben, wenn er geraubt wird.«
    »Wer wird nicht ohne Qual gegeben?«
    »Ein Kuss.« Sie sah ihm jetzt direkt ins Gesicht. »Das ist die Lösung, nicht wahr? Du hast mir gesagt, wenn ich das Rätsel löse, würdest du einen meiner Freunde gehen lassen.«
    »Falsch.« Er wartete auf ihre Reaktion und seine Augen glitzerten in einem boshaften Lächeln. »Ich habe dir gesagt, wenn du mir die Antwort gibst, würde ich einen deiner Freunde gehen lassen. Aber du hast sie mir noch nicht gegeben .« Sein Blick ruhte auf ihren Lippen. »Würdest du es jetzt gern tun?«
    Jenny spürte, wie eine Flamme des Zorns in ihr aufloderte. »Du …!« Sie wandte sich ab, um ihm nicht die Befriedigung zu geben, ihre Wut zu sehen.
    »Ich habe dich aufgeregt. Du bist gekränkt«, sagte er. Seine Reue klang aufrichtig. Jenny wusste nicht, wie sie mit diesem sprunghaften Wechsel seiner

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